Die vom statistischen Bundesamt ermittelte und sodann amtlich veröffentlichte Inflationsrate ist eine wichtige Grundlage für zahlreiche Entscheidungen, die für unsere Finanzpolitik erhebliche Auswirkungen haben.
- Wir vergleichen die Wirtschaftsleistung mit der Inflationsrate und empfinden es positiv, wenn das Bruttoinlandsprodukt höher ist als die Inflationsrate. Wir schließen daraus mit einem Gefühl der Zufriedenheit, dass sich die reale (preisbereinigte) Wirtschaftsleistung positiv entwickelt.
- Wenn die Inflationsrate niedrig ist, müssen Renten und andere Sozialleistungen weniger angepasst werden. Dies schont die Finanzen der Sozialkassen. Damit entsteht keine Diskussion über Beitragserhöhungen.
- Wenn die Inflationsrate niedrig ist, kann die Notenbank eine lockere Geldpolitik fahren. Gerade dies wird von zahlreichen politischen Führern im europäischen Umland gefordert.
- Ganz allgemein steht eine niedrige Inflationsrate für eine erfolgreiche Politik. Dieser Zusammenhang wird sofort bewusst, wenn wir uns für einige Sekunden eine umgekehrte Entwicklung vorstellen: Wie würden wir den Erfolg der Wirtschafts- und Finanzpolitik beurteilen, wenn die amtlich veröffentlichte Statistik angibt: ”Inflationsrate 4,5 % – Zinserträge für Bundesanleihen 1,5 %” ?
Die amtliche Inflationsrate wird durch zahlreiche Interpretationen beeinflusst
Das Handelsblatt weist mit einem Beitrag von Norbert Häring am 4.7. darauf hin, wie durch eine sehr freie Interpretation des Verhältnisses von Preis und Leistung die amtlich veröffentlichte Inflationsrate in die gewünschte Richtung beeinflusst wird.
- Beispiel Computer: Wenn der Computer im Vergleich zu einem früheren Modell bei gleichem Preis eine doppelt so große Rechnerleistung aufweist, unterstellt die Statistik, dass sich der Preis halbiert hat.
- Beispiel Medizin: Wenn Krankenhäuser ihre Patienten nach einer Operation früher (zur ambulanten häuslichen Pflege?) nach Hause schicken (unter Anderem, weil die Kassen nicht mehr so lange zahlen), unterstellt die Statistik, dass sich die Behandlungskosten reduziert haben.
- Beispiel Bildungswesen: Wenn die Hörsäle in den Universitäten heute von mehr Studenten besucht werden als früher, unterstellt die Statistik, dass sich die Bildungskosten reduziert haben. Immerhin sind die Kosten pro Student bei (über-) füllten Hörsälen ja tatsächlich geringer geworden.
Andere Berechnungsmethoden führen zu einer höheren Inflationsrate
Aufällig sind die Abweichungen bei der deutschen Inflationsrate in Abhängigkeit von den Standards, die zur Ermittlung dieser Zahl, genutzt werden. Das statistische Bundesamt veröffentlicht für Juni 1,7 %. Die gleiche Kenngröße nach europäischen Standards berechnet liegt bei 2,0 %. Damit liegt diese Zahl um 17,65 % höher als die nach deutschen Standards ermittelte Inflationsrate.
USA sind führend bei kreativen Neuerungen zur Berechnung von statistischen Daten
Die meisten Ideen zur Beeinflussung der amtlich veröffentlichte Inflationsrate stammen aus den USA. Dort dürfte die Abweichung zwischen den von den Bürgern im echten Leben täglich erlebten Preissteigerung und der amtlichen Zahl noch deutlicher sein als in Deutschland. Ähnliches gilt für die Zahlen über das Wirtschaftswachstum. Hier müssen wir davon ausgehen, dass ähnlich kreative Interpretationen einzelner Sachverhalte dazu führen, dass die statistischen Zahlen nach oben beeinflusst werden.
Kommentar:
Wir müssen mit offenen Augen durch das (Wirtschafts-) Leben gehen und unseren gesunden Menschenverstand nutzen. Eine blinde Statistik-Gläubigkeit führt zu falschen Schlussfolgerungen. Eine hohe Inflationsrate ist eine der Voraussetzungen, mit denen die Staatsschuldenquote (Höhe der Staatsschulden im Verhältnis zum BIP) optisch verbessert werden kann. Die Politik wird alles unterstützen, was dazu führt, beim Abbau der Staatsverschuldung ein (optisch) positives Ergebnis vorzuweisen. Dazu gehört auch eine hohe Inflation, was automatisch zu höheren BIP-Zahlen führt. Wachsendes BIP führt auch bei gleichbleibend hoher Staatsverschuldung zu einer (optisch) besseren Staatsschuldenquote. Hohe Inflation ist für dieses Ziel also positiv. Der Trend, die tatsächliche Inflation vor dem Hintergrund von künstlich niedrig gehaltenen Zinsen als niedrig erscheinen zu lassen, wird zunehmen. Wir haben erst den Anfang der “kreativen Interpretationen” gesehen.