Zum Jahresbeginn 2012 erwarteten wir in China eine Lockerung der in 2011 restriktiven Kreditvergabe und die damit verbundene Stimulierung der Wirtschaft. Diese Erwartung wurde bisher nur bedingt erfüllt.
Christian Hofmann, der in Bejing lebende Senior Advisor des “FIVV-Aktien-China-Selekt” Fonds, berichtet über Hintergründe der aktuellen Entwicklung aus China wie folgt:
Machtkämpfe innerhalb der kommunistischen Partei
Im Vorfeld des für Oktober anstehenden Führungswechsels intensivieren sich die Machtkämpfe innerhalb der Kommunistischen Partei. Prominentestes Opfer wurde Mitte März der ehemalige Handelsminister und Parteichef der zentralchinesischen Millionenmetropole Chongqing, Bo Xilai. Umso brisanter, da Bo als Politbüromitglied zur Gruppe der „Prinzlinge“ – Söhne verdienter Altrevolutionäre und Parteiführer – gehörte, die in China besonderen Schutz und Privilegien genießen. Vater Bo Yibo war einer der „Acht Unsterblichen“, die als enge Weggefährten Mao Zedongs bis zu ihrem Tod in den 1990er Jahren großen Einfluss auf die chinesische Politik ausübten.
Bo Xilai entmachtet
Der Sturz seines Sohnes Bo Xilai ist deshalb ein untrügliches Zeichen für den Machtkampf, der derzeit zwischen den einflussreichsten Fraktionen der Kommunistischen Partei tobt. Seit seiner Amtsübernahme in der zentralchinesischen Metropole Chongqing hatte sich Bo Xilai vor allem durch sein, stets medienwirksam inszeniertes, Vorgehen gegen Korruption und das organisierte Verbrechen einen Namen gemacht. Er sprach sich unverblümt gegen soziale Ungleichheit aus und verfolgte eine Politik der sozialistischen Nostalgie, die unmittelbar an die Propagandamethoden und den Personenkult der Maozeit erinnerten. Und während Bo bei der Bevölkerung, auch über die Provinzgrenzen hinaus, rasch Sympathiepunkte sammelte, wurde seinen Gegnern in Peking das Ganze wohl zunehmend unheimlich.
Schien ihm der Aufstieg in das oberste Machtorgan der Kommunistischen Partei bis vor wenigen Wochen noch so gut wie sicher, bleiben aktuell selbst sein Aufenthaltsort und die Art der gegen ihn erhobenen Vorwürfe ungeklärt. Die offiziellen chinesischen Medien jedenfalls schweigen zu den Vorgängen und im Internet haben massive staatliche Zensurmaßnahmen etwaige Suchmaschinen- und Blogeinträge zu dem Thema nahezu vollständig verschwinden lassen. Sicher scheint indes schon jetzt, dass man auch Bos Sturz am Ende mit Korruptionsvorwürfen begründen wird – das gängige Vorgehen zur Beseitigung politischer Gegner in China.
Machtkämpfe gab es in China schon häufiger
Ein ähnliches Schicksal hatte 1995 auch den Pekinger Parteichef Chen Xitong ereilt, als der damalige Staatspräsident Jiang Zemin seine Macht in der chinesischen Hauptstadt konsolidierte. Zehn Jahre später traf es den Shanghaier Parteichef und Protégé Jiang Zemins, Chen Liangyu, als der aktuelle Staatspräsident Hu Jintao seine Macht zu festigen suchte.
Wirtschaftliche Überlegungen treten vorübergehend in den Hintergrund
Unterm Strich zeigen die jüngsten Wirtschaftsdaten aus China vor allem, dass sich die chinesische Führung mit ihrer geldpolitischen Lockerung deutlich mehr Zeit lässt, als bislang erwartet. Offenbar sieht man in Peking unmittelbar keinen Grund zur Panik, was am Ende ja auch ein gutes Zeichen ist. Wer Peking und China dieser Tage allerdings wirklich verstehen möchte, der sollte die wirtschaftliche Brille für einen Moment abnehmen und in wahrlich machtpolitischen Dimensionen denken. Denn was Chinas Eliten dieser Tage umtreibt, ist in allererster Linie der geplante Führungswechsel an der Spitze der Kommunistischen Partei im Oktober. Dann nämlich wird der 18. Parteitag über die Neubesetzung des Ständigen Ausschusses des Politbüros – Chinas oberstem Machtorgan, das automatisch auch die obersten Staatsämter besetzt – entscheiden. Hinter den Kulissen jedenfalls ist das Gerangel um Macht und Einfluss in vollem Gange.
Derzeit eher abwartende Haltung in der Politik
Wer die Tragweite der aktuellen politischen Ereignisse in China einmal versteht, der wird Daten zu Industrieproduktion oder Einzelhandelsumsätzen zumindest vorübergehend einen etwas geringeren Stellenwert beimessen. In jedem Fall dürften die politischen Machtkämpfe einer der Hauptgründe dafür sein, dass sich derzeit keiner der Akteure mit allzu beherzten wirtschaftspolitischen Manövern aus dem Fenster lehnen möchte. Für die ausscheidende Führungsriege gilt es vor allem, politische Seilschaften in den Ruhestand zu retten. Ämter in Wirtschaft, Verwaltung und staatseigenen Unternehmen werden schnell noch an enge Vertraute und Familienangehörige übertragen. Alle anderen tun vorerst lieber nichts, als im Zweifel etwas Falsches zu tun. Das Klima ist rauer geworden in Peking. Die gute Nachricht ist allerdings, dass dieser Spuk spätestens im Oktober vorbei sein sollte.
Demnächst wieder Fokussierung auf die Wirtschaft zu erwarten
Nichts ist spannender als der Einblick in eine chinesische Machtpolitik, die sich ja für gewöhnlich ausschließlich hinter geschlossenen Türen abspielt. Am Ende allerdings dürfte für alle Beteiligten zu viel auf dem Spiel stehen, als dass man es tatsächlich zu einem offenen Schlagabtausch kommen ließe. Wenn der Fall Bo Xilai eines lehrt, dann also vor allem, dass die Suche nach persönlichem Populismus in China ein gefährliches Unterfangen ist. An der schlussendlichen Geschlossenheit der Kommunistischen Partei über ihre internen Fraktionen hinweg, besteht unserer Ansicht nach auf absehbare Zeit indes kein Zweifel. Sobald die jüngsten Machtkämpfe ausgefochten sind und Einigung über die Zusammensetzung der künftigen Führungsriege besteht, werden sich die Wogen daher auch wieder glätten. Spätestens ab dem dritten Quartal dürfte dann auch wieder ein gesteigerter wirtschaftspolitischer Handlungswille zu erwarten sein.
Derzeit gute Einstiegsmöglichkeiten bei aussichtsreichen Aktien in China
Die weitere Lockerung der Mindestreserve- und Lohnvergabevorschriften bleibt somit eine Frage der Zeit. Gleiches gilt unserer Ansicht nach auch für die Senkung der offiziellen Leitzinssätze. Dass die chinesische Führung über diese geldpolitischen Maßnahmen hinaus auch fiskalpolitisch über deutlichen Spielraum verfügt, zeigt ein Blick auf die Entwicklung des Budgetausgleichsfonds der Zentralregierung. Während der vergangenen zwei Jahre hat sich dieser nicht nur erholt, sondern enorm vergrößert und dient – in Ergänzung zum just durch den Nationalen Volkskongress genehmigten Budgetdefizit in Höhe von 1,5% des BIP – als zusätzlicher Notgroschen für wirtschaftlich schwierigere Zeiten. Abb.1: Budgetausgleichsfonds der chinesischen Zentralregierung (RMB, Mrd.). Quelle: Morgan Stanley Research. Paradoxerweise könnte daher gerade eine erneute Zuspitzung der Lage in Europa zu einem positiven Liquiditätseffekt für die chinesische Wirtschaft führen. Bis dahin bleibt es für Investoren bei einem Wechselbad der Gefühle zwischen wirtschaftlicher Abkühlung und anhaltend günstigen Bewertungsrelationen am chinesischen Aktienmarkt. Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass sich diese Situation am Ende zugunsten chinesischer Aktien auflösen wird. Mittelfristig orientierten Investoren bieten sich in den kommenden Wochen somit auch weiterhin hervorragende Einstiegschancen.