Diese Woche kochte die Diskussion über die Situation der Rentenversicherung in Frankreich (wieder einmal) hoch. Die EU-Kommission in Brüssel erklärte sich bereit, Frankreich zwei Jahre Aufschub zum Abbau seines Defizits einzuräumen und in dieser Zeit kein Defizitverfahren gegen Frankreich einzuleiten, forderte jedoch im Gegenzug eine schnellere Rentenreform. Frankreichs Präsident Francois Hollande reagierte verärgert und betonte öffentlich, dass Frankreich selbst entscheide, mit welchen Maßnahmen das Staatsdefizit gesenkt werden soll und die EU-Kommission hierbei gefälligst keine Vorgaben machen solle.
EU-Kommission stellte sechs Aufgaben an die französische Regierung
Die EU-Kommission fordert von Frankreich jedoch nicht nur die schnelle Umsetzung einer Rentenreform, sondern formulierte insgesamt sechs Aufgaben, die Hollande im kommenden Jahr zu erfüllen hat:
- Noch bis zum Jahresende Maßnahmen zur Reform des Rentensystems, um die defizitäre Rentenversorgung bis zum Jahr 2020 auszugleichen
- Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, was auf eine Reduzierung der Arbeitskosten hinausläuft
- Förderung der Exportstärke der französischen Unternehmen
- Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit des Dienstleistungssektors
- Reduzierung der hohen Jugendarbeitslosigkeit
- Vereinfachung des Steuersystems
Die Situation der französischen Rentenkassen erfordert dringend die Umsetzung von Reformen
Das staatliche Rentensystem in Frankreich ist eine der wichtigsten Baustellen. Wenn die bis heute geltende Systematik nicht verändert wird, sind schnell wachsende Defizite vorhersehbar, die letztlich immer von anderen (Beitragszahler, Steuerzahler oder Vermögensbesitzern) ausgeglichen werden müssen. Ein erster Schritt zur Lösung des Problems wurde jüngst schon vollzogen, indem das Rentenalter für eine volle Rente von 65 auf 67 Jahre angehoben wurde. Wer 40 Beitragsjahre nachweist, kann jedoch trotzdem früher in Rente gehen.
Wie eine Studie von db-research dokumentiert, werden Rentner in Frankreich im Vergleich zu Rentensystemen in anderen Ländern in einigen Bereichen sehr großzügig versorgt. Für die Rentenberechtigten ist dies sehr angenehm, schafft jedoch stets Belastungen für diejenigen, die diese Leistungen finanzieren müssen.
Vollrente bereits ab 60
Die Brutto-Standardrente (Lohnersatzrente nach 40 Erwerbsjahren) liegt für Geringverdiener mit 50 % Durchschnittseinkommen bei knapp 56 % des letzten Arbeitseinkommens. (Deutschland: 42 %). Öffentlich Bedienstete erhalten eine Pension von 75 % des letzten Lohnes (Deutschland: jetzt reduziert auf 71,75 %).
Ein wesentlicher Unterschied zugunsten der Rentner in Frankreich besteht in dem Modus der Rentenberechnung: In Frankreich werden aus der Gesamtzahl der Beitragsjahre nur die 25 „besten“ Jahre mit dem höchsten Einkommen zur Berechnung der Rente herangezogen, was dazu führt, dass Personen mit schwankendem Einkommen als Rentner deutliche Vorteile genießen.
Die größte Belastung der französischen Rentenkassen ist jedoch die Möglichkeit, sich bereits mit 60 Jahren bei vollem Rentenbezug in den Ruhestand zu verabschieden. Vor 10 Jahren genügte hierzu noch der Nachweis von 37,5 Versicherungsjahren. Die Altersgrenze wird mit einer seit 2011 laufenden stufenweise Anpassung auf 62 Jahre erhöht und die Anzahl der nachzuweisenden Versicherungsjahre auf 40 Jahre erhöht. Damit kann gemäß gegenwärtiger Regelung auch künftig die volle Rente ab Alter 62 beansprucht werden.
80 % der 60-jährigen sind bereits in Rente
Das niedrige Mindestalter zum Bezug der Vollrente führte dazu, dass (Stand 2009) 80 % aller Erwerbstätigen über 60 bereits in Rente sind. Diese sind sodann nicht nur Bezieher von Rentenleistungen, sondern fallen auch als Beitragszahler aus. Vor dem Hintergrund der (erfreulichen!) hohen Lebenserwartung der Bürger über 60 führt dies zu einer Belastung für die Rentenkassen, die alleine von den Beitragszahlern nicht mehr geschultert werden kann.
Zusätzliche Belastungen durch überdurchschnittlich großen Beamtenapparat
Der deutsche EU-Kommissar Oettinger hat diese Woche darauf hingewiesen, dass die Zahl der Staatsdiener doppelt so hoch sei wie im EU-Durchschnitt. Diese Mitarbeiter im öffentlichen Dienst haben ebenfalls Anspruch auf eine Altersversorgung in Höhe von 75 % der letzten Bezüge. Diese Personengruppe führt damit zu einer zusätzlichen und im Vergleich zu anderen EU-Staaten überdurchschnittlich hohen Belastung für die Rentenkassen.
Kommentar:
Leider gilt auch für die Rentenkasse in Frankreich genauso wie für alle anderen Rentensysteme: Jeder Euro, der ausbezahlt wird, muss von irgendjemand anderem einbezahlt werden. Damit führt ein Defizit einer Rentenkasse stets zu einer Umverteilung von Vermögen. Die Defizite müssen entweder zeitnah durch zusätzliche Einzahlungen aus dem Steuertopf geschlossen werden, was zeitnah zu einer zusätzlichen Belastung der Steuerzahler führt. Alternativ werden die Beiträge erhöht, was zu einer zusätzlichen Belastung der Arbeitnehmer und der Unternehmen führt. Oder die Rentenkasse finanziert sich über Kredite, was zu einer zusätzlichen Belastung künftiger Steuer- oder Beitragszahler führt. Die aktuelle Diskussion, wie die Entwicklung der französischen Rentenkassen (und aller anderen Rentensysteme genauso) stabilisiert werden kann, erscheint vor diesem Hintergrund absolut berechtigt und notwendig.
Es führt kein Weg daran vorbei: Wer eine ausreichende Versorgung im Alter sicherstellen möchte, kann sich – in Deutschland genauso wie in Frankreich – nicht alleine auf die gesetzlichen Rentenleistungen verlassen. Der Aufbau von privaten Vermögensreserven, breit gestreut auf zahlreiche Assetklassen, ist dafür immer noch das richtige Verfahren.
Mehr Information:
Das deutsche und französische Rentensystem im Vergleich
Herausgegeben von der Französischen Botschaft
http://www.ambafrance-de.org/IMG/pdf/rentenvergleich_2013.pdf