Einem Unternehmen, das über einen längeren Zeitraum mehr ausgibt als es einnimmt, geht irgendwann einmal das Geld aus. Wenn dieses Unternehmen ein überzeugendes Geschäftsmodell vorlegt und mögliche Kreditgeber davon überzeugen kann, dass seine Investitionen alsbald Gewinne abwerfen werden, mag die Durststrecke mit Hilfe von Krediten überwunden werden. Wenn jedoch von den Kreditgebern kein Vertrauen mehr besteht, werden Kredite verweigert: das Unternehmen wird zahlungsunfähig und muss Insolvenz anmelden.
Hat Griechenland ein tragfähiges Geschäftsmodell?
Seit zwei Jahren diskutiert Europa darüber, ob Griechenland seine Schulden auf ein langfristig tragbares Maß abbauen kann. Ebenso lange ist klar, dass dieser Staat dies nicht ohne Hilfe von außen schaffen wird. Dementsprechend wurden auch schon mehrfach massive Unterstützungen gewährt:
- 100 Milliarden Entlastung durch den “freiwilligen” Erlass von Schulden zu Lasten der privaten Gläubiger (das sind Banken, die wir ggfls. wieder mit Eigenkapital stützen müssen, Versicherungen und Pensionsvermögen, die unsere Sparvermögen für die Altersversorgung verwalten, und Tausende von privaten Anlegern, die griechische Anleihen in ihrem Anlage-Portfolio hatten).
- Weitere 100 Milliarden bereitgestellte Unterstützung zu Lasten des Rettungsfonds, dessen Finanzmittel von den Steuerzahlern aus dem gesamten Euro-Land aufgebracht werden müssen. Davon wurden zunächst einmal 16 Milliarden Euro überwiesen, und in diesen Tagen führen wir eine intensive Diskussion, ob und unter welchen Bedingungen die zweite Tranche ausgezahlt werden soll.
Voraussetzung für die Hilfe von außen ist die Einhaltung eines umfangreichen Sparprogramms, mit dem die Ausgaben des Staates soweit gesenkt werden sollen, dass die künftigen Einnahmen ausreichen, um keinen neuen nicht mehr tragbaren Schuldenstand entstehen zu lassen.
Hat das gestützte Land damit eine realistische Chance, den Turnaround zu schaffen und wieder erfolgreich wirtschaften zu können? Erste Voraussetzung hierfür wäre, dass das Land mit seinen Gütern und Dienstleistungen international wettbewerbsfähig ist bzw. auf dem Weg zur Wiedererlanung der Wettbewerbsfähigkeit Fortschritte erzielt.
Als ein Beispiel von vielen zeigt die Entwicklung der Lohnstückkosten, dass es Griechenland nicht geschafft hat, die bisherige Entwicklung entscheidend umzukehren. Andere Staaten, deren Lohnstückkosten im Vergleich zu schnell angestiegen sind, (allen voran Irland), haben in diesem Bereich starke Anstrengungen unternommen und befinden sich auf einem Weg zurück in die Wettbewerbsfähigkeit.
Die Lohnstückkosten in Griechenland liegen heute um 40 % höher als 1999. Die Anstrengungen des Staates, diesen extremen Nachteil in der Wettbewerbsfähigkeit zu überwinden, erscheinen im Vergleich zu anderen Staaten (allen voran Irland) gering.
Der Erfolg von Deutschland im internationalen Wettbewerb der Exportnationen liegt nicht zuletzt daran, dass die Produktionskosten deutlich weniger stiegen als in anderen Regionen Europas.
Die Bürger in Griechenland ziehen ihr Geld aus dem Land ab
Die Sparer und Anleger in Griechenland selbst scheinen nicht allzu viel Vertrauen in die Zukunft des Landes zu haben. Sie zogen seit Anfang 2011 über 25 % aller Bankeinlagen aus ihren heimischen Banken ab. Zu vermuten ist, dass die reduzierten Einlagen-Bestände nicht hauptsächlich die Spargroschen der Rentner und Geringverdiener waren. Die Nachfrage nach luxuriösen Immobilien in anderen Staaten Europas durch griechische Käufer und die gelegentlich durchsickernden Informationen über steigende Anlagesummen griechischer Bürger in den Banken anderer Staaten deuten darauf hin, dass es vor allem die Vermögenden sind, die ihr Geldvermögen außer Landes bringen.
Die Sparer und Anleger in Griechenland haben seit Anfang 2011 etwa 25 % ihrer Einlagen aus den Banken ihres Heimatlandes abgezogen.
Überraschender Stimmungswechsel bei den Retter-Staaten
Noch vor kurzem ließen alle Äußerungen der politischen Elite der Retter-Staaten darauf schließen, dass die Geduld der Geldgebenden deutlich überstrapaziert sei. Tenor war die Forderung nach strikter Einhaltung der Sparauflagen (was Griechenland nicht leisten kann oder nicht leisten will), die zügige Einsetzung einer schlagkräftigen Steuerverwaltung (wie sollte das kurzfristig umgesetzt werden vor dem Hintergrund einer tief verwurzelten “Beziehungswirtschaft”?), die Verweigerung von Fristverlängerungen (wie sollte Griechenland die Auflagen, die es seit vielen Monaten nicht umsetzen konnte, jetzt in wenigen Wochen umsetzen?), und dies alles unter den kritischen Augen der sogenannten Troika (die kurze Zeit vorher aus Protest über die Nichteinhaltung sämtlicher Vorgaben bereits abgereist war).
Seit wenigen Tagen vernehmen wir eine deutlich veränderte Tonart aus der Europäischen Politik. Zunächst verstummten die vorher laut vorgetragenen Forderungen, und zwischenzeitlich nehmen wir bereits die ersten Stimmen wahr, die darauf hindeuten, dass es doch noch eine Lösung geben würde, auch die nächste Tranche auszuzahlen und damit Griechenland vor der ansosten sicheren Zahlungsunfähigkeit zu bewahren.
Kann dieser Stimmungsumschwung damit zusammenhängen, dass das Verfassungsgericht den Betriebsbeginn des fest eingeplanten ESM bis September gestoppt hat? Ohne ESM können die Folgen einer offiziell erklärten Insolvenz kaum bewältigt werden.
Meinung:
Der griechische Staat wird auch mit einer erneuten Finanzspritze aus dem Rettungstopf nicht saniert werden können. Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Gesundung des griechischen Staatshaushaltes ist unter Anderem, dass das Land eine eigene Währung mit der Möglichkeit der Abwertung im internationalen Vergleich der Währungen erhält. Der nur durch eine Abwertung realisierbare Korrekturbedarf liegt gemäß meiner Schätzung bei 40 – 50 %. Das würde dem Land eine Chance geben, den Tourismus wieder überzeugend in Fahrt zu bringen und im internationalen Vergleich konkurrenzfähig exportieren zu können.
Sollte diese Voraussetzung für eine Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit nicht geschaffen werden, wird Griechenland dauerhaft zum Transfer-Empfängerland werden.