Sand im Getriebe – oder kein Tiger (mehr) im Tank?

Geposted von Walter Feil am

Mit “Sand im Getriebe” beschreibt die jüngste FridayMail der AGI (AllianzGlobalInvestors) die gegenwärtige Situation  im globalen Konjunkturmotor. Vor allem die Industriestaaten müssen mit stumpfen Waffen gegen die allseits sichtbaren Liquiditäts-Probleme kämpfen. Sie haben es versäumt, in den fetten Jahren vergangener Zeiten Reserven aufzubauen, mit denen jetzt eine Belebung der wirtschaftlichen Aktivitäten erreicht werden könnte.

Ich habe allerdings den Eindruck, dass nicht nur “Sand im Getriebe der Konjunktur” liegt, sondern dem Wirtschaftsmotor vor allem der Treibstoff fehlt: überall fehlt es an Finanzierungen. Aus meiner zweiwöchigen Urlaubsreise bringe ich Erfahrungen mit, die diesen Eindruck untermauern.

Großbritannien leidet unter den Folgen der Finanz- und Bankenkrise

Am Mittwoch kam ich von einer zweiwöchigen privaten Reise zurück, die mich durch die landschaftlich wunderschönen Gegenden Südwest-Englands führte. Cornwall und die Cotswolds sind weit von der “City” (wie die Engländer das Finanzzentrum Londons nennen) entfernt. Trotzdem haben die Entwicklungen seit der Finanz- und Bankenkrise 2008 auch (oder gerade?) die Menschen in dieser ländlichen Gegend tief und hart getroffen. Natürlich konnte ich es nicht lassen, mit nahezu jedem, der etwas Zeit für mich erübrigen konnte, über die Folgen der Finanzkrise zu sprechen.

Das Hauptproblem sind die fehlenden Finanzierungen

Jeder, ausnahmslos jeder meiner Gesprächspartner schilderte die immensen Probleme, die durch die extreme Kreditknappheit nach 2009 entstanden sind. The Daily Telegraph greift das Problem auf der Titelseite seiner Beilage “your money” vom 25.8. auf:

 

Einige Beispiele verdeutlichen die prekäre Situation:

Guesthouse-Zimmerausbau nur über ein Privat-Darlehen möglich

Unser erster privater Gastgeber berichtete, wie das Einkommen der Familie aus einem kleinen Handwerksbetrieb (Tiler = Fliesenleger) nach 2009 zusammengebrochen ist. Die Aufträge gingen extem zurück, und um die wenigen Aufträge konkurrierten alle Handwerker der Region, die vorher sämtlich gut beschäftigt waren, mit immer tieferen Angeboten, was die Margen aus den wenigen Aufträgen schrumpfen lies. Die Rettung für diese Familie war ein privates Darlehen von einem älteren Familienmitglied, das seine Ersparnisse für das Alter zur Verfügung stellte. Damit hat die Familie eine Doppelgarage im bestehenden Haus in Eigenleistung in ein “Guesthouse” mit zwei Gastzimmer verwandelt, und dies so geschickt und perfekt, dass uns die Umwidmung vor diesem Gespräch gar nicht aufgefallen war. Das Zusatzeinkommen aus der Vermietung der beiden Gasträume hilft der Familie jetzt, finanziell zu überleben. – Die Banken waren nicht bereit, dem lang ansässigen Handwerker ein kleines Darlehen für den Ausbau zu gewähren.

Florierende Firma mit 100 Angestellten in Konkurs wegen Kündigung der Kreditlinie

Bei unserem nächsten Gastgeber wiederholte sich die Geschichte sehr ähnlich: Nur der Zugriff auf die “Savings”, die Ersparnisse für das Alter, ermöglichte den Ausbau des Dachgeschosses zur Vermietung von zwei Gasträumen. Die Einnahmen hieraus – verbunden mit der täglichen Dienstleistung für das stets phänomenale Frühstück und die in jedem Einzelfall wunderschön gepflegten Gärten – werden (hoffentlich) ausreichen, die Krise zu überleben.

Unser Gastgeber berichtete von einem Freund, der viele Jahre lang sehr erfolgreich ein Unternehmen mit über 100 Angestellten geführt hatte. Er stellte Artikel her, die stark saisonabhängig (hauptsächlich in der Winterszeit, vor allem als Weihnachtsgeschenk) nachgefragt wurden. Jahr für Jahr baute er sein Lager über die Sommerzeit auf, und zum Jahresende war er ausverkauft. 2010 kündigte seine langjährige Hausbank unerwartet die gewohnte Kreditlinie, so dass er seine Lieferverträge nicht mehr erfüllen konnte. Die Konsequenz: Verlust seiner Firma, seines privaten Vermögens – und 100 Arbeitslose in einer Region, die kaum Alternativen bietet.

Immobilienmakler werben mit “Sonder-Finanzierungen”

Die Angebote der Immobilienmakler füllen ganze Plakatwände. Einige wenige wiesen darauf hin, dass eine begrenzte Stückzahl von ”90%-Mortgages” verfügbar seien. Dies bedeutet, dass (über eine bestimmte Bank) Darlehen bis zu 90% des Beleihungswertes ausgereicht wurden. Die Erläuterung hierzu lieferte im Beilage “your money” im Daily Telegraph vom 25.8.2012. Mit englischer Detail-Genauigkeit wird berichtet, dass es “gegenwärtig nur 244 Darlehen für 90%-Finanzierungen” gibt, während es zur gleichen Zeit im Jahr 2007 “903 Darlehen für 90%-Finanzierungen” waren. Das entspricht einem Rückgang von 75%.

Gemäß den weiteren Erläuterungen scheint dies ein Sonderprogramm mit staatlichen Bürgschaften zu sein.

Banken quetschen die Darlehensnehmer aus

Zur gleichen Zeit ging ein wütender Protest durch britische Zeitungen, weil eine der größeren Banken (in diesem Fall die Santander-Bank) die Zinsobergrenze für die VRA (Variable Rate Annuities = Darlehen mit variabler Zinshöhe) um 0,50 % auf die zulässige Obergrenze von knapp 5 % anhob, und dies, obwohl die Refinanzierung der Banken über die Zentralbank zu 0,50 % gegeben war. Zum Vergleich: die aus Deutschland bekannte Marge für Baufinanzierungen liegt üblicherweise zwischen unter 1,0 % für beste Bonitäten und kaum über 2 % für mittlere Bonitäten. Dies würde zu einem variablen Zinssatz von 1,50% bis maximal 2,50 % führen.

EineBank bot Darlehen für “Libor + 3,2 %” an. Dieses Stichwort zu diesem Zeitpunkg bringt die Volksseele erst richtig zum Kochen, nachdem bekannt wurde, dass zahlreiche Banken über Jahre hinweg den Libor (London Bank Offered Rate = die am Bankplatz London zwischen Banken übliche Zinshöhe) nach Belieben manipuliert haben.

Im Unterschied zu unseren üblichen Finanzierungen, deren Zins fast immer über 5, 10 oder noch mehr Jahre festgeschrieben ist, finanzieren die Banken in GB häufig mit variablen, an den Libor gekoppelten Zinssätzen.

Kommentar:
Ich habe den Eindruck, dass die britischen Banken heute mit nur 25 % Darlehensvolumen genausoviel Zinsüberschuss verdienen wollen wie vor 2008 mit dem vierfachen Darlehensvolumen. Eine Zinsspanne von fast 4,5% für Immobilienfinanzierungen kennen wir in Deutschland eigentlich nicht.

Die Immobilienwirtschaft leidet extrem darunter, Transaktionen und die damit verbundenen Steuer-Einnahmen unterbleiben, Arbeitsplätze gehen verloren oder werden nicht geschaffen, … was wiederum extrem negative Auswirkungen auf die Gewerbetreibenden der Region hat, denen die Konsumenten fehlen. Die Spirale dreht sich weiter in die falsche Richtung.

Die Banken weisen auf die gestiegenen Bonitäts-Anforderungen hin, die durch die neuen Vorschriften aufgezwungen werden. Ich meine eher, dass sie ihr Eigenkapital eher dazu nutzen, auf eigene Rechnung die – bei Erfolg äußerst profitablen – Spekulationen zu finanzieren. Wenn`s schief geht und der Verlust groß genug ist, die Bank zu ruinieren, folgt dann der Ruf nach Rettung durch den Steuerzahler – genau dem gleichen Steuerzahler, dem vorher die Existenzgrundlage entzogen wurde.

Walter Feil ist Leiter der Niederlassung Bühl der Gies & Heimburger GmbH und Leiter des Investment-Research.