Was die Börsenkurse beeinflusst

Geposted von Walter Feil am

Seit einigen Wochen erleben wir sowohl in Europa als auch in den USA steigende Aktienkurse, obwohl die Entwicklung der Konjunktur sich kaum verbessert hat. Weder in Europa noch in den USA wird ein akzeptables Wachstum der volkswirtschaftlichen Leistung erreicht. Auch die Prognosen für die Entwicklung des BIP (Bruttoinlandsprodukt) weisen eher auf das Risiko eines weiteren Rückgangs als auf die Chance auf einer alsbaldigen Erholung hin. Wie passt dies zusammen?

Konjunkturdaten alleine sind nicht börsenbestimmend

Die Entwicklung der Konjunktur, wozu zum Beispiel die Entwicklung der Umsätze im Einzelhandel und in weiteren Dienstleistungen und die Entwicklung der Industrieproduktion zählt, ist nur einer von zahlreichen Größen, die die Börsenkurse beeinflussen. Im Folgenden beleuchte ich einige weitere Punkte, die die Kursentwicklung von Aktien und zinstragenden Wertpapieren beeinflussen.

Die Börse ist ein Marktplatz, an dem Millionen Teilnehmer miteinander “handeln”

Vorab möchte ich daran erinnern, dass die Börse ein (Markt-) Platz ist, an dem sich – im wesentlichen über elektronische Handelssysteme verbunden – jede Sekunde hunderttausende von Marktteilnehmern gegenüberstehen, die Aktien, Rentenwerte und andere Werte handeln. Wenn ein Teilnehmer erwartet, dass der Preis (der “Kurs”) eines Börsentitels steigt, gibt er eine Kauforder auf. Wenn er erwartet, dass der Kurs unter das derzeitige Niveau fällt, (oder wenn er aus anderen Gründen verkaufen will) gibt er eine Verkaufsorder auf. Diese Orders sind meist mit einem Limit versehen und werden in den Handelssystemen zusammengeführt.

Der Abgleich von Kauf- und Verkaufsorders findet in Sekundenbruchteilen statt. Alle Orders, für die innerhalb des plazierten Limits eine passende Paarung gefunden wird, werden sofort ausgeführt. Wenn der Kauf oder Verkauf mangels passendem Gegenangebot innerhalb des gesetzten Limits keine Ausführung ergibt, bleibt die Order bis auf weiteres im System, bis sich entweder eine Ausgleich herstellen lässt oder bis die Order durch Ablauf der vom Auftraggeber gesetzten Frist erlischt. Der Auftraggeber kann eine neue Order mit einem anderen Limit erteilen oder die Ausführung “bestens”, also ohne Limitvorgabe, in Auftrag geben.

Professionelle Börsianer haben in der Regel Einblick in die Börsensysteme und wissen deswegen schon vor Erteilung einer Order, wieviel Stücke des gewünschten Titels mit welchen Limits aktuell eingestellt sind. Diese Listen werden fortlaufend erneuert, meist mehrfach pro Sekunde. Ein Auftrag kann damit zur raschen Ausführung gebracht werden, indem das Limit passend zu den aktuell eingestellten Orders vorgegeben wird – oder auch in Erwartung von steigenden / fallenden Kursen ganz bewusst außerhalb der augenblicklichen Kursbildung, um bei einer Veränderung in die gewünschte Richtung vollautomatisch teurer zu verkaufen oder billiger zu kaufen.

Was beeinflusst nun die Entwicklung der Kurse?

Die Entwicklung der Konjunktur

Natürlich beeinflusst die Erwartung, wie sich die Konjunktur entwickeln wird, die Börsenkurse. Wenn die Investoren erwarten, dass die Industrieproduktion anzieht, Arbeitsplätze geschaffen werden, das Einkommen steigt, der Konsum steigt, … dann rechnen sie auch mit steigenden Gewinnen der an der Börse gelisteten Unternehmen. Das führt in der Regel auch zu steigenden Bewertungen. Also kauft man jetzt. – Umgekehrt gilt: Wenn die Börsianer erwarten, dass die Gewinne der Unternehmen fallen, rechnen sie auch mit fallenden Aktienkursen.

Die Börsioner antizipieren die künftige Entwicklung in der Regel mit einer Vorlaufzeit von 3 bis 6 Monaten. Das bedeutet: Die Erwartung, dass sich die Konjunktur in 3 – 6 Monaten verbessert, führt in der Regel bereits heute zu steigenden Aktienkursen.

Die verfügbare Liquidität

Mehr als allgemein angenommen beeinflusst die verfügbare Liquidtät die Entwicklung der Börsenkurse.

Wenn die EZB Staatsanleihen “in unbegrenzter Höhe” kauft und damit Liquidität in die Märkte gibt, können Banken sowohl mehr Kredite an Unternehmen und Immobilienkäufer vergeben, die Lombard-Kreditlinien für Wertpapierkäufer ausweiten und auch auf eigene Rechnung zusätzliche Papiere kaufen. Gleiches gilt, wenn die Fed monatlich für 40 Mrd USD Anleihen kauft oder die BoJ (Bank of Japan) 1 Billion Yen zusätzlich in den Markt gibt.

Umgekehrt gilt: Wenn Unternehmen keine Finanzierung für ihre Expansionspläne erhalten, wenn Immobilienkäufer keine Kredite für die Hausfinanzierung bekommen, wenn Lombard-Kreditlinien reduziert werden, dann lahmt die Konjunktur und Investoren bleiben der Börse fern.

Die Höhe der Zinssätze

In engem Zusammenhang mit der grundsätzlich verfügbaren Liquidität steht der Zinssatz für Ausleihungen. Ein Kreditangebot nützt wenig, wenn der Zinssatz so hoch ist, dass sich das Geschäft für den Kreditnehmer nicht mehr lohnt oder sein Risiko daraus zu hoch ist. Wir erlebten den zunächst positiven, dann katastrophalen Effekt in den letzten Jahren mehrfach: Reichlich verfügbare und billige Liquidität führte in den USA zur Immobilienblase und dann zum Zusammenbruch. Das gleiche gilt für Irland und Spanien. Auch schon vorher konnte die berüchtigte dot.com-Blase nur entstehen, weil die übertriebenen Erwartungen der Börsianer zu immer mehr kreditfinanzierten Aktienkäufen führten.

Derzeit stehen die Chancen gut, dass die zur Verfügung gestellte Liquidität und die günstigen Zinssätze sowohl die professionellen Anleger als auch viele private Anleger veranlassen, ihre Kauforders zu verstärken.

Die Erwartungen zur Entwicklung der Inflationsrate

Wenn Konsumenten erwarten, dass sie morgen günstiger kaufen als heute, verschieben sie den Autokauf, den Ersatz der alten Möbel, den Kauf von neuer Mode so lange wie irgend möglich. Je später man kauft, desto billiger wird es. Gleiches gilt für Unternehmen: Investitionen werden in die Zukunft verschoben, schon alleine weil es ja billiger wird. Dieses Szenario ist wohl eine der größten Gefahren für die Entwicklung unserer Wirtschaft. Dementsprechend unternehmen die Notenbanken alles nur Machbare, um diese Entwicklung zu vermeiden. Es soll stets eine gewisse Preissteigerung (Inflation) feststellbar sein.

Je höher die Inflationsrate ist, desto schneller werden Kaufentscheidungen umgesetzt: Das neue Auto lieber heute als morgen, die neuen Möbel gleich dazu, … Das fördert den Konsum und treibt die Konjunktur an.

Derzeit haben wir bereits eine massive Inflation der Sachwerte: Immobilienpreise steigen nicht nur in den Ballungszentren, sondern auch schon in der Fläche, Aktienkurse haben wieder angezogen, und der Preis für Gold bewegt sich schier unaufhaltsam nach oben. Diese Entwicklung erhöht die Gewinne der Unternehmen, was wiederum zu steigenden Aktienkursen führt, …

Vertrauen

Großen Einfluss auf die Entwicklung der Börsenkurse hat das Vertrauen der Marktteilnehmer, dass weiterhin ein positives Marktumfeld besteht. Wenn die Angst umgeht, dass Staaten zahlungsunfähig werden, dass Europa auseinanderfällt, der Euro abgeschafft wird, die Arbeitslosigkeit steigt und keine Anzeichen auf eine Lösung der Probleme erkennbar sind, ziehen sich die Käufer von den Börsen zurück. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Verkäufer. Beides gemeinsam führt zu einem rasanten Kursverfall.

Umgekehrt gilt: Wenn das Vertrauen und die Zuversicht, dass die Krisenherde abgebaut und die Probleme gelöst werden, zurückkehrt, steigen auch wieder die Kauforders an den Börsen.

Anlagenotstand und Anlagevorschriften

Zahlreiche Anlage-Entscheidungen werden auch – wider bessere Überzeugung – nur unter dem Zwang, bestehende Anlagevorschriften einzuhhalten, getroffen. Große Altersvorsorgevermögen (Pensionsvermögen, Versicherungsunternehmen) können ihre liquiden Mittel nicht nur auf “Konten” halten. Sie müssen in teilweise mit engem Rahmen vorgegebene Wertpapiere investiert werden. Ich bin davon überzeugt, dass zahlreiche Versicherungsunternehmen gerne eine höhere Aktienquote halten würden, wenn die Vorschriften über die hierfür vorzuhaltenden Eigenkapitalsummen dies nicht verhindern würden. Staatsanleihen erfordern gemäß den gültigen Vorschriften eben kein Eigenkapital, Aktien und Immobilieninvestitionen aber schon.

Weitere Checkpunkte zur Vorbereitung einer Anlage-Entscheidung

Um eine konkrete Anlage-Empfehlung im jeweiligen Marktumfeld auszuarbeiten, werden weitere Checkpunkte wie zum Beispiel die Entwicklung der Währungen (Wechselkurse), die Preise für Rohstoffe (Industriemetalle, Energie, Nahrungsmittel, …), die Volatilität an den Märkten, die Zuverlässigkeit, für das Monitoring weiterhin zeitnahe Informationen zum entsprechenden Investment zu erhalten, etc. in Betracht zu ziehen.

 

Walter Feil ist Leiter der Niederlassung Bühl der Gies & Heimburger GmbH und Leiter des Investment-Research.