Der Krieg und seine Folgen
Der Krieg in der Ukraine hat längst den deutschen Verbraucher erreicht. Die schlimmsten Auswirkungen aber – von den Ukrainern selbst abgesehen – dürften Menschen spüren, die noch einmal Tausende Kilometer weiter weg leben. Denn der Konflikt könnte weltweit Hungerkrisen auslösen.
Eine der schrecklichsten Waffen überhaupt braucht keinen Stahl und kein Schießpulver – und Wladimir Putins Angriff gegen die Ukraine droht, sie weltweit zu entfesseln. Gemeint ist Hunger. Denn der Krieg tobt mitten in einer der größten Kornkammern der Welt.
Zusammengerechnet exportieren Russland und die Ukraine mehr als ein Viertel des weltweiten Weizens. Allein im vergangenen Jahr, vermeldete die Regierung in Kiew, summierten sich die Ausfuhren pflanzlicher Produkte auf 16 Mrd. USD, ein Sprung um 30% zum ersten Pandemiejahr 2020. Hinzu kommen nochmals Exporte von Ölen und Fetten in Höhe von gut 7 Mrd. USD.
Zusammengerechnet belaufen sich die größten Posten der Nahrungsmittelausfuhren auf rund ein Drittel aller ukrainischen Ausfuhren. Ihr Ziel: die ganze Welt. Getreidelieferungen machen nur knapp 10% der Ausfuhren nach Deutschland aus, aber 58%, 64% und 76% der Exporte in die Länder Ägypten, Marokko und Tunesien.
Wegen des Kriegs könnte dieser überlebenswichtige Strom an Lebensmittel versiegen – ein Acker, auf dem Raketen einschlagen, kann nicht bestellt werden. Hinzu kommt, dass auch Russland Exporte aufgrund der Sanktionen deutlich zusammenschrumpfen dürfte, oder Putin die Getreide-Ausfuhren gar als geopolitische Waffe einsetzt. Der Konflikt droht so, auch Tausende Kilometer weiter, für menschliches Leid zu sorgen.
Weizenpreise an den Börsen erreichen historische Höchststände
Die voraussichtlichen Engpässe spiegeln sich bereits an den Märkten. An den US-Terminmärkten stieg der Preis für ein sogenanntes Bushel Weizen (etwa 27 Kilogramm) auf 12 USD, 75% höher als vor einem Jahr. Auch Mais und Sojabohnen kosten 39% bzw.19% mehr als vor zwölf Monaten.
Besonders tragisch: Die Invasion trifft den Markt zur Unzeit. Die Situation auf den Weltagrarmärkten war schon vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine angespannt, mit Preisen für Getreide, Ölsaaten und anderen Lebensmitteln, die höher waren als in den letzten 20 Jahren. Schuld daran seien eine gestiegene Nachfrage, hohe Energie-, Transport- und Düngerkosten sowie Missernten in einigen Regionen. Was noch hinzu kommt: Auch der Markt für Dünger engt sich weiter ein, was die Nahrungsmittelinflation weltweit nochmals beschleunigt. Nicht nur bei Weizen, sondern auch bei Düngemitteln ist Russland einer der weltweit wichtigsten Exporteure. Erst vorige Woche empfahl Moskau den heimischen Produzenten, die Ausfuhren zu stoppen.
Dahinter steckt keine Gegenreaktion auf westliche Sanktionen, sondern einerseits ein akuter Mangel an Transportmöglichkeiten ins Ausland, auf der anderen Seite aber auch der plötzliche Eigenbedarf. Russland braucht seinen Dünger selbst in der eigenen Landwirtschaft. Das soll die sanktionsbedingte Inflation zumindest bei grundlegenden Gütern – wie eben Nahrungsmitteln – eindämmen.
Schlimmstenfalls löst Putins Krieg demnach Hungerkrisen in vielen anderen Regionen der Welt aus. Sprunghaft ansteigende Preise für Grundnahrungsmittel wie Weizen und Mais sind vor allem für arme Menschen ein Problem und bedeuten mehr Hunger. Hauptimporteure von Getreide aus Russland und der Ukraine sind Länder im mittleren Osten, Nordafrika und anderen Teilen Afrikas – also Regionen, in denen ohnehin Hunger verbreitet ist und viele Menschen arm sind. Wie schlimm es wird, kann erst in einigen Monaten gesagt werden. Die größten Mengen aus der Schwarzmeer-Region würden im Sommer und Herbst geerntet und exportiert werden. Sollten diese Mengen im laufenden Jahr komplett fehlen, könnte die Zahl der hungernden Menschen kurzfristig um über 100 Millionen ansteigen, mahnen die Agrarökonomen. Hoffentlich kommt es anders…
Bleiben Sie gesund und genießen Sie das Wochenende
Thomas Boldt und das gesamte Team von Gies & Heimburger