Editorial der Freitags-Info vom 22.10.2021

Geposted von Hans Heimburger am

Ein zunehmend einsamer Lotse geht von Bord

John Tenniel, der die nachfolgende berühmte Karikatur vor mehr als 130 Jahren für die britische Satirezeitschrift „Punch“ zeichnete, mag mir die kleine Adaption verzeihen.


Der zum Jahresende angekündigte Rückzug von Jens Weidmann vom Posten des Bundesbankpräsidenten und damit auch aus dem Rat der Europäischen Zentralbank ist in meinen Augen keine gute Nachricht für Deutschland und wenn man ein überzeugter Europäer ist, dann auch nicht für die Eurozone. Mag sein, dass der eine oder andere Notenbanker aus südlicheren Gefilden unseres Währungsraums vor Freude von einem Bein auf das andere hüpfte und der freudige Erregungszustand auch die Damen und Herren Ampel-Koalitionäre überkam, insofern sie die Farbe Rot oder Grün bevorzugen.

Ich bin mir ganz sicher, dass Jens Weidmann diese Entscheidung nicht leichtgefallen ist und nicht als Fahnenflucht zu interpretieren ist. Ich schätze ihn als sehr pflichtbewussten und aufrechten Geldpolitiker ein. Gerade in Zeiten, in denen das unheilvolle Inflationsgespenst schon längst nicht mehr vor der Tür steht, sondern sich bereits in unser aller Leben breit macht. Stell Dir vor es gibt Inflation, alle spüren es bereits sehr deutlich nur die EZB leugnet diesen Umstand beharrlich, könnte man versucht sein zu formulieren. Mag sein, dass sein Abgang auch mit der mangelnden Unterstützung seiner Positionen durch die Politik in Berlin zusammenhängt.

Jens Weidmann ist so etwas wie das stabilitätsorientierte geldpolitische Gewissen der europäischen Zentralbank. Ein Mann, der sich in der Bundesbanktradition verpflichtet fühlte und dem die kreative Umgehung von Grenzen bei den Anleihekäufen der EZB ein Dorn im Auge war und ist. Seine Meinung hielt er auch nicht zurück sondern formulierte diese klar und deutlich. So erinnerte er jüngst wiederholt daran, dass das erste „P“ des „Pandemic emergency purchase programme (PEPP)“ eben für pandemic steht und nicht für permanent.

Wieland Staud (den ich sehr schätze) schreibt heute in der FAZ im Zusammenhang seiner technischen Analyse zum Euro wie folgt:
„…Europa ist reich, nach allen relevanten Maßstäben sogar sehr reich. Für sehr viele ist unser Kontinent das Ziel ihrer Sehnsüchte und Träume, der friedliche Ort, an dem Milch und Honig in Strömen fließen, der Platz an dem man gerne leben will. Nur in wenigen Momenten der Weltgeschichte ging es so vielen Menschen so lange so außergewöhnlich gut. Aber erstens wollen wir das nicht alle immer unbedingt wahrhaben, und zweitens arbeiten wir hart daran, diesen Zustand nachhaltig zu ändern. Europa ist bequem geworden. Wir streiten uns wie die Kesselflicker über alles und jedes, vermeiden nach Kräften dringend nötige Strukturreformen, schütten jedes Problem mit frisch gedrucktem Geld zu…“

Jens Weidmann gehörte eben nicht zur bedingungslosen „Gelddruckfraktion“ innerhalb des EZB-Rates. Er mahnte immer wieder Reformen in den Ländern der Eurozone an. Unbequeme Reformen, die so oft unterblieben und die mit der Druckerpresse (kurzfristig) substituiert wurden.
Ich hoffe sehr, dass die neue Bundesregierung eine kluge und umsichtige Entscheidung bei der Neubesetzung der Position an der Spitze der Bundebank trifft.

Bleiben Sie gesund und genießen Sie das Wochenende.

Hans Heimburger und das gesamte Team von Gies & Heimburger

Hans Heimburger ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Gies und Heimburger GmbH und der CIO (Chief Investment Officer) für die 3ik-Strategiefonds.