Öl und Gas – Zu wenig oder zu viel?
Diese Woche erklärte der Direktor der Internationalen Energieagentur, Fatih Birol, die Welt befindet sich in „the first truly global energy crisis“. Zu Deutsch: Die Welt befindet sich in der ersten echten globalen Energiekrise.
Dieser Einschätzung hängt auch die deutsche Bundesregierung an. Lassen Sie mich witzeln: So hat unser Wirtschaftsminister schon einmal Flüssiggas für die nächsten 50 Jahre bestellt.
Der Markt teilt diesen Befund von der Energiekrise zumindest gegenwärtig offensichtlich nicht. So ist der Preis für europäisches TTF-Gas in den freien Fall übergegangen. Allein auf Monatssicht verbilligte sich das nordeuropäische Gas zur Lieferung im November auf Monatssicht um fast 45 %. Auf Jahressicht steht für den Terminkontrakt nur noch ein Plus von rund 8,5 % zu Buche.
Auch im Ölmarkt kann von einer Hausse der Notierungen kaum noch die Rede sein. So kostet europäisches Brent-Öl aktuell 6,4 % mehr als vor Jahresfrist. Das ist nicht besonders bemerkenswert und deutet definitiv keine dramatische Unterversorgung des Marktes an. Sie fragen sich jetzt: Warum bezahle ich an der Zapfsäule oder für Heizöl immer noch rekordähnliche Preise? Die Antwort: Brent-Öl handelt in Dollar, und wir müssen es mit einem weichen Euro teuer einkaufen.
Natürlich, der Gaspreis ist sicherlich regional stark verzerrt und von einigen Kurzfrist-Faktoren bestimmt. So lässt sich der Herbst in weiten Teilen Europas ziemlich mild an, sodass wir noch nicht wirklich heizen müssen. Außerdem haben wir sehr wahrscheinlich die europäische Speicher-Infrastruktur überfordert. So sind die deutschen Gasspeicher mittlerweile bis zum Bersten gefüllt. Da geht bald kein Kubikmeter mehr rein.
Allein vor dem spanischen Hafen Bilbao ankern seit einigen Tagen 5 schwere LNG-Tanker, die nicht abgepumpt werden können. Vor den spanischen Küsten sollen zuletzt bis zu 35 LNG-Tanker im Meer geschaukelt sein, weil sie nicht entladen werden konnten. Dabei verfügen die Spanier über 6 großvolumige LNG-Terminals zur Rückvergasung. Ganz offenbar arbeiten die Anlagen allerdings an den Kapazitätsgrenzen. Dass die LNG-Tanker unverändert vor Spanien ankern, zeigt klar, auch in anderen Teilen Europas kann offenbar zurzeit nicht entladen werden.
Wie gesagt, schenkt man der Marktanalyse der Internationalen Energieagentur oder der deutschen Bundesregierung Glauben, dann ist die Preisschwäche der fossilen Energierohstoffe ein vorübergehendes Phänomen.
Ich bin anderer Meinung. Ich sehe Anzeichen für eine globale Ölschwemme. Der Markt wird nächstens in Öl und Gas ersticken. Und kommen Sie mir bitte nicht mit diesem saisonalen Argument vom bevorstehenden Winter, der die Nachfrage treiben soll! Nur zur Erinnerung an den Geographie-Unterricht, den wir als Jugendliche genossen haben: Die Mehrheit der Erdbewohner hat noch nie in ihrem Leben auch nur eine Schneeflocke gesehen. Kurzum: Der mitteleuropäische oder nordamerikanische Winter ist keine globale Erscheinung.
Der entscheidende Faktor für die Energiepreise ist also nicht das Wetter, sondern die Konjunktur. Wir brauchen Öl vor allem für die Mobilität, für die Produktion von Kunststoffen und anderen Vor- und Endprodukten. Wenn die Konjunktur schwächelt, fragt eben beispielsweise die chemische Industrie weniger Öl nach, und der Logistiker unternimmt weniger Touren und spart Lkw-Sprit ein.
Genau diese Perspektive sehe ich für die nächsten ein bis zwei Quartale voraus. Noch eine Hintergrund-Info: In einer durchschnittlichen Rezession fällt der Ölpreis fast immer auf seine nackten Produktionskosten zurück.
Thomas Boldt und das gesamte Team von Gies & Heimburger wünschen Ihnen ein schönes Herbstwochenende.