Aus deutscher (Steuerzahler-) Sicht ist die gestrige Nacht von Brüssel nicht als Erfolg zu werten. Vor allem der erleichterte Zugang der Südländer Italien und Spanien zu den Rettungsschirmen kann nur als weiterer Schritt in eine Schuldengemeinschaft gewertet werden. Die Gipfelbeschlüsse im Überblick:
Leichterer Zugang zu den Rettungsschirmen
Länder, die sich an die Haushaltsvorgaben halten, können über die Krisenfonds EFSF und ESM Unterstützung erhalten, ohne dass damit zusätzliche Sparbemühungen und eine Haushaltskonsolidierung erforderlich sind. Zwar wird weiterhin jeder Hilfsantrag durch die Troika, bestehend aus Vertretern der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalem Währungsfonds (IWF) geprüft, zusätzliche Konsolidierungsanstrengungen sind jedoch nicht vorgesehen. Dieser Punkt war ein zentrales Anliegen von Italiens Ministerpräsident Mario Monti.
Direkte Hilfen für Banken aus dem Krisenfonds ESM
Um den Teufelskreis zwischen angeschlagenen Banken und Staatsfinanzen zu durchbrechen, sollen Banken direkt aus dem Rettungsfonds ESM rekapitalisiert werden. So erhöht sich die Staatsverschuldung trotz der Notkredite nicht mehr – die Zinsen auf Staatsanleihen könnten dadurch sinken. Allerdings greift dieser Punkt erst, wenn unter Einbeziehung der europäischen Zentralbank EZB eine gemeinsame europäische Bankenaufsicht installiert wurde. Dieser Beschluss spielt sehr stark Spanien mit seinem angeschlagenen Bankensystem in die Karten.
Gemeinsame Bankenaufsicht in den Euroländern
Der Gipfel beauftragte die EU-Kommision, kurzfristig einen Vorschlag zur Implementierung einer Bankenaufsicht auf europäischer Ebene unter Einbeziehung der EZB zu unterbreiten. Erst wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, kann eine direkte Bankenhilfe durch den ESM gewährt werden.
Kredite des ESM werden nicht vorrangig vor den Ansprüchen anderer Gläubiger behandelt
Die Senioritätsfrage hat hat die Anleger sehr beschäftigt. Die jetzt getroffene Verabredung findet den Beifall der privaten Investoren. Anders als bisher vorgesehen, sollen die Kredite der Euro-Partner keinen Vorrang vor Krediten der Privatgläubiger haben, wenn das Geld aus dem ESM kommt. Im Falle einer Pleite müssten die öffentlichen Geldgeber also genauso verzichten wie die Privatwirtschaft.
Einigung auf ein Wachstumspaket über 120 Milliarden Euro
Das Geld soll schwerpunktmäßig zur Ankurbelung der Konjunktur und zur Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit, gerade in den Peripherieländern, eingesetzt werden. Die Summe entspricht ungefähr einem Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung und soll in die rasche Belebung der schwächelnden Wirtschaft fließen. Dafür erhöhen die EU-Länder unter anderem das Kapital der Europäischen Investmentbank um zehn Milliarden Euro, so dass diese in den kommenden drei Jahren Kredite in Höhe von 60 Milliarden Euro vergeben kann. Etwa 55 Milliarden Euro kommen aus dem EU-Haushalt. Deutschland soll 1,6 Milliarden Euro beitragen.
Fazit: die Beschlüsse des EU-Gipfel sind Wasser auf die Mühlen der europäischen Südländer und ein Schritt in Richtung der Schuldenunion. Natürlich immer vorausgesetzt, dass sie auch so umgesetzt werden. Aus der Vergangenheit wissen wir allerdings, dass zwischen den Aussagen auf den eilig einberufenen Pressekonferenzen in Brüssel und den pragmatischen Umsetzungen unter Einschaltung der Expertengremien in den einzelnen Ländern oft eine enorme Lücke klafft. Italien und Spanien, die sich insofern gestern als Gewinner sehen, haben sich in Brüssel erneut Zeit erkauft. Aber die Stunde der Wahrheit (=ernsthafte und nachhaltige Reformen) kann nicht immer wieder in die Zukunft verschoben werden.