Auf dem alten Kontinent vergeht leider kaum ein Tag, an dem nicht das Wort Krise im Zusammenhang mit der Berichterstattung über einen Sachverhalt bemüht wird. Krise in Zypern, das nun noch mehr Geld benötigt, wie vor zwei Wochen von den Experten berechnet wurde. Krise in Frankreich, dessen Haushaltsdefizit auch in 2013 nicht den Maastricht-Kriterien entsprechen wird, Dauerkrise in Griechenland und Krise in Italien, wo nach den Wahlen von Ende Februar noch immer keine Regierungsbildung in Sicht ist.
Auf der anderen Seite des Atlantiks erreicht der Dow Jones Index einen neuen Rekordstand nach dem anderen. Wie passen diese widersprüchlichen Bilder zusammen?
Dow Jones Index notiert gestern bei 14.865 Punkten
Der amerikanische Aktienmarkt zeigte sich seit dem Jahresbeginn in einer sehr guten Verfassung und konnte eine deutlich bessere Wertentwicklung als die europäischen Börsen aufweisen. Diese positive Aktienmarktentwicklung ist durch die robuste Konjunkturentwicklung in den Vereinigten Staaten begründet. Die BIP-Schätzungen für das erste Quartal 2013 wurden nach den zuletzt vielversprechenden Daten von den Analysten kräftig bis auf 3,5% – 4% nach oben revidiert. Die schwachen Arbeitsmarktdaten vom vergangenen Freitag haben zwar zunächst enttäuscht, sind aber bei einer genaueren Betrachtung nicht so negativ. Erstens haben die Statistiker den Atellenaufbau der letzten Vormonate kräftig nach oben revidiert. Und zweitens – und dieser Punkt überzeugt noch mehr – sind die durchschnittlichen Arbeitsstunden auf den höchsten Stand seit fünf Jahren geklettert. Das aber heißt, dass die Unternehmen von ihren Mitarbeitern mehr Arbeitsstunden verlangen, anstatt neue Stellen zu schaffen. Dass die Arbeitsnachfrage (in Stunden) weiter zugelegt hat, könnte dann auch Vorbote eines künftigen Stellenaufbaus sein.
Die wirtschaftlichen Rahmendaten sind allerdings nur ein Faktor für die Kursentwicklung. Wie viel Liquidität steht den Aktienmärkten zur Verfügung? Die Notenbanken in den USA, in Japan und in etwas geringerem Umfang auch in Europa pumpen durch ihre Käufe am Anleihemarkt Monat für Monat viele Milliarden Liquidität in die Märkte. Die damit entstehende zusätzliche Liquidität treibt die Aktienkurse nach oben. Gleichzeitig sehen wir in den USA nur sehr geringe Verkaufsbereitschaft bei den Investoren.
Wie sicher und stabil schätzen die Investoren die künftige Entwicklung ein? Stabile politische Verhältnisse und eine kontinuierliche Verbesserung am Arbeitsmarkt stärken das Vertrauen der Investoren. Unsicherheiten über die politische Entwicklung, Unruhen und Verlust von Arbeitsplätzen führen zu Verkäufen.
Dies erklärt auch, warum die jüngste Korrektur an den Aktienmärkten in Amerika im Keim erstickt wurde und sofort wieder in steigende Notierungen mündete, in Europa dagegen nach den vorläufigen Hochs Mitte März eine Korrektur von über 5 Prozent einsetzte.
Europas Industriesektor stabilisiert sich
Das Gerede über die diversen Krisen in Europa scheint den Blick für positive Zahlen zu trüben. Die Produktionszahlen des europäischen Industriesektors sind diese Woche recht positiv ausgefallen und zeigen erste Stabilisierungstendenzen. So stieg, wie erst heute gemeldet, der Industrieausstoß in der Währungsunion um 0,4% gegenüber dem Vormonat und konnte so den Januarrückgang wettmachen. Bezogen auf Deutschland rechnen die Volkswirte für das erste Quartal 2013 mit einer Rückkehr in die Wachstumszone (BIP-Anstieg 0,25% bis 0,5%).
Fazit:
Die amerikanische Wirtschaft ist ausgesprochen gut in das Jahr 2013 gestartet. Im Vergleich hierzu gestaltet sich die Entwicklung in Europa sehr viel schwieriger. Insofern sind die Unterschiede bei der Börsenentwicklung sehr wohl begründet. Allerdings scheint eine Erholung der europäischen Konjunktur in der zweiten Jahreshälfte durchaus möglich.