Dieser Tage wurde bereits viel darüber spekuliert, ob Italien die Euro Zone verlässt. Die neue italienische Regierung will nach den Worten von Finanzminister Giovanni Tria die Schulden senken und nicht aus dem Euro aussteigen. Die Koalition wolle das Wachstum durch Investitionen und Strukturreformen ankurbeln und nicht durch eine Erhöhung der Schulden, sagte Tria dem Corriere della Sera in seinem ersten Interview seit dem Amtsantritt. „Unser Ziel ist es, Wachstum und Beschäftigung zu steigern. Aber wir wollen das Wachstum nicht durch schuldenfinanzierte Ausgaben in die Höhe treiben.“ Er stellte sich auch hinter den Euro. „Die Haltung der Regierung ist klar und untereinander abgestimmt. Ein Ausstieg aus dem Euro steht nicht zur Debatte.“ Die Regierung werde sich so verhalten, dass sie nicht einmal in die Nähe einer Lage gerate, wo die Mitgliedschaft im Euro infrage gestellt werden könnte.
Das Einlösen von Wahlversprechen wird teuer
Populistische Wirtschaftspolitik hat eine typische Eigenschaft: Sie verspricht rasche Verbesserungen – und vernachlässigt längerfristige Nebenwirkungen. Staatliche Ausgabenprogramme, Steuersenkungen, Schutz vor ausländischen Wettbewerbern – all das ist zunächst populär. Auf Dauer aber werden so die Staatsfinanzen ruiniert, die Produktivität beschädigt und Konflikte zwischen Politik und Notenbanken angezettelt.
Sei es drum, die neue Regierung in Rom will ihre Wahlversprechen umsetzen und Steuergeschenke verteilen. Doch das kostet – und Italien braucht jetzt schon Hilfe von außen! Als EZB-Chef gibt sich Mario Draghi dabei große Mühe Hilfe zu leisten. Doch so langsam gehen ihm die Möglichkeiten aus.
Fakt ist: Schon jetzt schiebt Italien einen riesigen Schuldenberg vor sich her. Aktuellen Zahlen zufolge beträgt der 2302 Milliarden Euro. Das entspricht 132 Prozent des italienischen BIP. Eigentlich kann es deshalb nur eine Devise geben: Sparen, sparen, sparen.
Das sieht auch die Europäische Zentralbank so. Unter ihrem derzeitigen Chef, bekanntlich ein Italiener, hat die EZB Europas Sorgenkindern zusätzliche Zeit für Reformen eingeräumt, indem sie den Leitzins seit Jahren niedrig hält. Außerdem kauft sie munter Staatsanleihen an, gibt der Regierung also weitere Milliarden.
Italien versäumt Strukturreformen
Von Seiten der EZB war dies eigentlich immer an bestimmte Anforderungen geknüpft: Strukturreformen und fiskalischer Sparkurs. Italien hat das nicht umgesetzt. Die Notenpresse läuft weiter auf Hochtouren und das italienische Bankensystem bleibt der größte Sorgenfaktor. Der Berg an alten Krediten, der in den Büchern der italienischen Banken vor sich hinsiecht, beziffert die EU-Kommission auf 186 Milliarden Euro. Einige Volkswirte schätzen die Dunkelziffer auf wesentlich höher.
Hinzu kommt: Inzwischen zieht die Inflation unter dem Druck steigender Energiepreise wieder an. Geht es so weiter, wächst der Druck, die Zinsen wieder anzuheben. Viel Zeit dürfte Italien nicht mehr bleiben, um die Kehrtwende einzuleiten.
Besonders bitter: Auf neue Hilfen der EZB können die Italiener kaum mehr hoffen. Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union untersagt den unmittelbaren Kauf von Staatspapieren durch die EZB. Nur der mittelbare Erwerb, also aus der Hand von Banken oder anderen Investoren auf dem Wertpapiermarkt, wie es die EZB gegenwärtig tut, ist konform. Diese Käufe, immerhin 30 Mrd. EUR monatlich, will die EZB zum Ende September 2018 aber nun einstellen.
Welche Wege Mario Draghi noch bleiben:
Option 1: Verlängerung, Ausdehnung der Anleihekäufe
Entgegen der jüngsten Spekulationen unter den Handelsteilnehmern verkündet Draghi bei der EZB-Sitzung am 14. Juni nicht die Beendigung des Kaufprogramms. Stattdessen wird das Programm fortgeführt.
Das würde sicherlich für kurze Zeit den Notenbankern in Rom und der Refinanzierung Italiens helfen, nicht aber dem Ansehen der Eurozone. Parallel könnte jedoch mit der „gekauften Zeit“ in Brüsseler Hinterzimmern – und in Abstimmung mit Berlin – ein Plan zur Rettung ausgearbeitet werden. Für kurze Zeit würden die Zinskosten Italiens steigen, sich dann aber zurückbilden, wenn die Lösung an den Finanzmärkten und unter Anleihegläubigern akzeptiert wird.
Option 2: Draghi geht nach Fahrplan vor
Die EZB mischt sich nicht akut in die Finanzmisere ein. Rom könnte sich zeitweilig mit der möglichen Parallelwährung aushelfen, den sogenannten Mini- BOT. Diese Form von Staatsverschuldung entspricht der Ausgabe von Schatzwechseln. Das kann nur gut sein für eine kurzfristige Überbrückung. Die Lega und die Fünf-Sterne haben sich auf ein mögliches Projekt verständigt. In diesem Szenario würde es bittere Realität! Der Staat könnte vorerst mit den ausgegebenen „Geldscheinen“ Rechnungen und Verpflichtungen gegenüber dem Handwerk und den Bediensteten begleichen. Je nach Ausgabevolumen, dem Umgang mit dem Instrument und der Disziplin kann der Kollaps bestenfalls hinausgezögert – aber nicht verhindert werden.
Wichtig: Die Mini-BOT müssen ohnehin extern am internationalen Markt refinanziert werden, da das Land in der Konsequenz sich nicht vom internationalen Warenverkehr- und Handel abschotten kann.
Option 3: EZB und Regierungen beleben den ESM neu
In der Konsequenz von Anleihekäufen durch die EZB kann ein Hilfsmechanismus in der Form des ESM, des Europäischen Stabilitätsmechanismus, wiederbelebt werden. Voraussetzung wären harte Verhandlungen mit Berlin und Brüssel. Im Falle der Bundesrepublik ist sogar ein Votum im Bundestag notwendig. Bislang haben Griechenland, Portugal und Zypern sich unter den ESM-Schirm gestellt. Das Programm wurde letztendlich als EFSF, Europäische Finanzstabilisierungsfazilität, für die drei Länder umgesetzt. Das Gesamtvolumen der Hilfen beläuft sich auf 440 Milliarden Die Bundesrepublik bürgt dafür mit 211 Milliarden.Der Haken: Italien müsste harte Reformauflagen erfüllen, wenn es Mittel von ESM oder EFSF erhalten will. Schwer denkbar, dass die gegenwärtige römische Koalition diese Auflagen „einfach so“ annimmt.
Epidemie führt zum Kollaps
Und wenn gar keine Hilfe kommt? Die Volkswirte der DZ Bank, Frankfurt sehen in einem solchen Fall „einen abrupten Stillstand des Finanzsystems“ und außerdem eine verheerende Rezession, die auch auf den Rest der Eurozone ausstrahlen würde. Die Wirtschaft würde vollends einbrechen. Die „Anleihegläubiger im Ausland hätten durch einen Zahlungsausfall des Staates Verluste von mehr als 700 Milliarden Euro zu befürchten“, so die DZ Bank. Die Epidemie würde schnell auf das globale Bankensystem übertragen.
Nicht nur die Tatsache, dass der marode italienische Bankensektor der größte Geldgeber für die Staatskasse ist alarmierend, sondern auch das hohe Investment der europäischen Banken in Italien. Diese haben hohe Forderungen was Anleihen und Kredite aller italienischen Schuldner einschließt. Die Summe beläuft sich auf 513 Milliarden Euro, wovon französische Banken 310 und deutsche Banken rund 90 Milliarden Euro in ihren Büchern verwalten.
Draghis letzte Mission
Es gibt die Chance, dass Mario Draghi tatsächlich mit dem Anleihekauf weitermacht. Nur um Italiens Willen – er wird die EZB im Herbst 2019 ohnehin verlassen. Die Gefahr neuerlicher Staatsanleihekäufe ist darin zu sehen, dass die EZB damit ihr wichtigstes Gut, die politische Unabhängigkeit, mit Füßen tritt. Ein stetig hohes Volumen der Staatsanleihekäufe führte in der Vergangenheit dazu, dass die EZB von der Fiskalpolitik dominiert wurde. Nun sucht sie nach einer Ausstiegsklausel. Doch sie hat kaum einen Ausweg: Sie muss bei der Italien-Rettung die Ankerrolle übernehmen – ob sie will oder nicht.
Der Druck wird immer größer
Die Zeit drängt: Auf dem Höhepunkt der Regierungsbildung sagte Italiens Notenbankchef Ignazio Visco mahnend in Richtung aller Beteiligten, dass das Land nur noch wenige Schritte von einem irreparablen Vertrauensverlust entfernt sei.
Bis zum März 2019 müssen fällige Schulden von 165 Milliarden durch die Ausgabe neuer Wertpapiere, sogenannter BTP-Anleihen refinanziert werden. Am letzten Börsentag im Mai hat eben eine dieser Auktionen für Furore gesorgt. Aus Angst, das Schatzamt würde nicht genügend Käufer für die zweijährigen Papiere finden, war im Vorfeld die Rendite der zweijährigen Anleihe bis auf 2,77 hochgeschnellt. Noch Mitte April handelte der Zwei-Jahres-Zins bei 0,40 Prozent.
Als Fazit bleibt zu hoffen das „Super Mario“ das Richtige tut und Italien den vollmundigen Versprechungen von Wachstum und Beschäftigung endlich Taten folgen lässt. Es bleibt ein Spiel gegen die Zeit.
Anleger sollten dieser Tage nicht die Nerven verlieren und abwarten, bislang hatten politische Krisen kurze Beine. Größere Schwankungen an den Börsen lassen sich aber wohl nicht vermeiden.