Quo vadis Ölpreis?

Geposted von Hans Heimburger am

Lassen Sie mich den Beitrag mit einer hypothetischen Zeitreise beginnen. Versetzen wir uns gedanklich in den Januar 2012 zurück. Ein Fass Rohöl der Sorte WTI (West Texas Intermediate) kostete damals um die 100 US Dollar. Welche Ölpreisprognose hätten wir zum dortigen Zeitpunkt für den Januar 2016 unter folgenden Prämissen abgegeben?
1. Russland annektiert 2014 die Halbinsel Krim und es schwelt ein kriegerischer Konflikt zwischen eben diesem Russland und der Ukraine.
2. Weite Teile des Irak und Syrien werden in 2013 bis 2014 von islamischen Terroristen (IS) militärisch überrannt, die einen fundamentalistisch-fanatischen Gottesstaat errichten.
3. Amerika, mit einer Reihe Verbündeter einerseits und Russland auf der Seite des syrischen Despoten Assad andererseits, greifen ab 2015  in  diesen höchstkomplizierten Konflikt ein.
4. Das mehrheitlich sunnitische Saudi-Arabien und der schiitische Iran , ebenfalls als Hintermänner auf dem syrischen Schlachtfeld vertreten, brechen im Januar 2016 die diplomatischen Beziehungen zueinander wegen der Hinrichtung eines schiitischen Geistlichen in Saudi-Arabien  ab.

200 Dollar, 250 Dollar oder gar 300 Dollar je Barrel hätten vermutlich die Prognoseergebnisse gelautet. Gedanklich wieder zurück in der Gegenwart wissen wir, dass der Ölpreis der Sorte WTI am 21. Januar 2016 bei 27,5 Dollar pb lag.

Was sind die Ursachen für den drastischen Ölpreisverfall?

Mein Kollege Walter Feil und ich führten in den vergangenen drei Wochen zwei ausführliche Conference Calls mit Christoph Eibel (Gründer des Rohstoffhauses Tiberius) und Fadel Gheit, einem der angesehensten Öl- und Gasaktienanalysten in Amerika. Beide Experten gaben uns einen tiefen Einblick in die aktuelle Marktsituation.

Der Ölmarkt ist ein komplexes Gebilde. So gibt es weltweit rund 200 verschiedene Ölsorten, die  sich in ihrer Qualität (Schwefelgehalt, Sulfatgehalt usw.) unterscheiden und deshalb auch zu höchst unterschiedlichen Preisen abgerechnet werden. Die gängigsten Ölsorten, die mit hohen Volumen an den Spot- und Terminmärkten gehandelt werden, sind das oben genannte WTI-Öl  und das Nordseeöl Brent (benannt nach dem Ölfeld Brent westlich von Norwegen).

Der Ölmarkt wird von sehr unterschiedlichen Interessen und Faktoren beeinflusst. Lassen Sie mich die meiner Meinung nach wichtigsten Gründe für den Ölpreisverfall seit Mitte 2014 aufzählen und illustrieren.

  • Einer der wichtigsten Faktoren in diesem Spiel der unterschiedlichen Marktkräfte ist die dramatische Weiterentwicklung der Fördertechnik in Amerika. Die Fördermethode  „Hydraulic Fracturing“ ( kurz  „Fracking“) ermöglichte es den Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren ihre Ölproduktion deutlich auszuweiten. Nach der Finanzmarktkrise stieg die Zahl der US Förderstellen deutlich an und erreichte Mitte 2014 die Zahl von 1.900. Als Folge des Preisverfalls seit Sommer 2014 wurden unrentable Quellen geschlossen. Die Zahl der Förderstellen fiel auf 664 im Januar.
    Dies sollte in den kommenden Monaten das Überangebot reduzieren und den Preis schrittweise stabilisieren.

 

Ölproduktion USA seit 2000

 

  • Saudi-Arabien, als weltweit größter Ölproduzent (mit den tiefsten Produktionskosten, geschätzt 6-12 Dollar pro Barrel), hatte das Potential des Frackings lange unterschätzt. Im Sommer 2014 entschied sich die Führung des Landes eine „Strategie der Überproduktion“ zu implementieren. Diese Strategie verfolgt mehrere Ziele:1. Rückeroberung von Weltmarktanteilen.
    2. „Bestrafung“ des (sunnitischen) Irans und Russlands für deren (aus saudischer Sicht) Destabilisierung des Nahen Ostens.
    3. Zurückdrängen der amerikanischen Frackingindustrie, deren Produktionskosten schätzungsweise bei 25 bis 40 Dollar je Barrel liegen.
  • Weltweit stöhnt die Ölindustrie unter dem tiefen Preis. Mehrheitlich kann nicht mehr kostendeckend produziert werden. Wichtige Großprojekte, die zukünftig für eine weltweite Versorgungssicherheit mit Rechnung tragen sollten, wurden und werden eingestampft bzw. bis auf Weiteres verschoben. In der amerikanischen Ölindustrie zählte man bereits rund 40 Insolvenzen. Diese Zahl dürfte sich im weiteren Jahresverlauf 2016 mindestens verdoppeln.
  • Im Januar wurden rekordhohe Shortspekulationen gemessen und vermutlich auch gezielte Nachrichten über weiter fallende Ölpreise gestreut. Die Lager sind randvoll. Professionelle Großinvestoren decken sich mit Ölbeständen ein (zum Beispiel Lagerung in Großtankern).
  • Sorgen um die zukünftige Entwicklung der Konjunktur in China aber auch in Amerika warfen Fragen über einen Rückgang der Nachfrage auf. Die nachfolgende Tabelle zeigt jedoch sehr eindeutig, dass der globale Ölverbrauch weiter steigt. Sie zeigt allerdings auch den aktuellen Produktionsüberhang.
Veränderung von Ölproduktion und Ölverbrauch 2013 bis 2016 (Schätzung) Quelle: J.P. Morgan Asset Management

Veränderung von Ölproduktion und Ölverbrauch 2013 bis 2016 (Schätzung)
Quelle: J.P. Morgan Asset Management

 

Volatile Bodenbildung hat begonnen

In den vergangenen Tagen scheint der Ölpreis eine Bodenbildung zu vollziehen, wie der nachfolgende Chart verdeutlicht. Der steile Abwärtstrend bis zum 21. Januar wurde gebrochen.

Die schwarze Linie illustriert die Entwicklung des Ölpreis im bisherigen Jahresverlauf 2016

Die schwarze Linie illustriert die Entwicklung des Ölpreis im bisherigen Jahresverlauf 2016

Die in der Überschrift genannte Bodenbildung wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen und erneute Tests der Tiefs vom Januar können nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Auf Sicht mehrerer Monate erwarten wir nach den Expertengesprächen eine deutliche Stabilisierung der Ölnotierung mit Preisen jenseits der 40-Dollar-Marke pro Barrel.

 

 

 

 

 

 

 

Hans Heimburger ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Gies und Heimburger GmbH und der CIO (Chief Investment Officer) für die 3ik-Strategiefonds.