China macht seine sozialpolitischen Hausaufgaben

Geposted von Hans Heimburger am

In den vergangenen Tagen hat sich an den chinesischen Aktienmärkten Panik breit gemacht. Am vergangenen Montag und Dienstag sahen wir massive Verkaufswellen, die zu den stärksten jemals an den chinesischen Börsen gemessenen Volumen zählten.

Die chinesischen Wachstumswerte gerieten stark unter Druck

Der Hang Seng Techindex verlor von Ende Juni bis zum bisherigen Tief am vergangenen Dienstag bei 6.250 Punkten rund 23%. Seit dem Rekordstand von Mitte Februar 2021 bei 11.000 Zählern addierte sich der Rückgang  auf 43%. Bis heute konnte der Index wieder rund 700 Zähler zulegen.

Hang Seng Tech Index

 

Chinas Ziel und Motivation

Das herausragende Ziel Chinas ist die soziale Stabilität. Dabei werden wirtschaftliche Faktoren wie fairer Wettbewerb und faire Löhne, umweltpolitische Faktoren wie die Vermeidung übermäßiger  Umweltverschmutzung sowie soziale Faktoren wie Datensicherheit und Lebensqualität berücksichtigt.
Entwicklungen, die dieses Ziel gefährden, werden analysiert und entschieden angegangen.

Hauptauslöser für den oben dargestellten Kursrutsch war die Entscheidung der Behörden in Peking, gegen übermäßige Gewinne und andere Wildwüchse im privaten Bildungssektor vorzugehen. Es soll der Lerndruck und die Arbeitslast der Kinder reduziert werden. Chinesische Kinder sitzen von morgens um 08.00 Uhr bis abends um 23:00 Uhr am Schreibtisch, 6 bis 7 Tage die Woche. Die neuen Regeln sollen die Schulzeit der Kinder erleichtern und die Ausbildungskosten, die von den Eltern getragen werden, verringern. Das Bildungswesen war schon immer ein stark regulierter Bereich, wobei sich in den letzten Monaten eine Verschärfung der Vorschriften abzeichnete. Die Strenge der Maßnahmen ist jedoch viel höher als erwartet und die Angst vor einer möglichen stärkeren Regulierung in mehreren Sektoren hat sich bei den Investoren breit gemacht.

Die Internet-Monopolisten werden stärker kontrolliert

Im Bereich der Internet-Plattformen soll die „monopolistische“ Ausnutzung der Marktmacht der
Mega-Tech Unternehmen (Alibaba, Baidu, Tencent) eingeschränkt werden. Darüber hinaus soll der Konsumenten-Datenschutz sichergestellt werden. Im Bereich der Internet-Plattformen werden die Auswirkungen der Regulierung auf Umsatz und Gewinn eher gering bleiben. Der Kapitalmarkt scheint im Moment in den meisten dieser Fälle eher überzureagieren.

FinTechs werden der Bankenaufsicht unterstellt

Im Sektor FinTech soll das systemische Kreditrisiko reduziert werden, indem FinTechs keine Bankengeschäfte ohne Banklizenzen mehr erlaubt werden und sie adäquate Kapital-
ausstattungen halten müssen. Das „Geld-Monopol“ des Staates soll bei gleichzeitig staatlich eingeführten Crypto Currencies erhalten bleiben. In den Bereichen Private Education und FinTech hat die Regulierung stark veränderte Rahmenbedingungen geschaffen und existierende Geschäftsmodelle ausgehebelt, so dass eine signifikante Bewertungskorrektur am Markt gerechtfertigt scheint.

Erneuerbare Energien und alternative Antriebstechnologien werden massiv gefördert

Im Bereich der „Erneuerbaren Energien“ hat Chinas Regierung als eine der ersten zugesagt, bis 2060 keine Emissionen mehr zu verursachen. Bis Ende dieses Jahres wird China bereits mehr Kapazitäten aus nicht-fossilen Brennstoffquellen als aus kohlebefeuerten Quellen installiert haben. Darüber hinaus hat die Regierung im Juli das weltweit größte CO2-Handelssystem eingeführt. Dementsprechend ist China bereits jetzt der weltweit größte Produzent von Wind-, Solar und Wasserkraft. Viele der börsennotierten Unternehmen in diesen Bereichen profitieren erheblich vom beschleunigten Marktwachstum.

Im Bereich der Alternativen Antriebstechnologien wurde das Ausphasen von Verbrennungs-
motoren beschlossen. Bis 2035 müssen 50%, bis 2025 müssen 20% der verkauften Neufahrzeuge Alternative Antriebstechnologien (z.B. Elektro, Hybrid) aufweisen. Die Richtlinien der Regierung zur Entwicklung alternativer Antriebstechnologien umfassen Emissionsquoten für Verbrennungsmotoren, Quoten für Elektrofahrzeuge für Hersteller und Importeure, Subventionen, Steuerbefreiungen und die aggressive Unterstützung beim Bau einer Ladeinfrastruktur. Die gesamte Elektrofahrzeug-Industrie von den Autoherstellern bis zu den Lieferanten profitiert signifikant von den klaren Rahmenbedingungen.
Negative Kurskorrekturen in den Bereichen „Erneuerbare Energie“ und „Alternative Antriebs-Technologien“ sind aus heutiger Sicht nicht gerechtfertigt.

Fazit:

  • Am 26. und 27.07. sahen wir mit die stärksten Verkaufstage in der chinesischen Börsengeschichte. Dies markiert typischerweise das Ende bzw. ein weit fortgeschrittenes Stadium von Verkäufen und nicht deren Anfang.
  • Wie in jedem Crash ist Frage nach dem genauen Boden nicht seriös zu beantworten. Aber Crash-Kurse sind und bleiben Kaufkurse, dies lehrt uns unsere jahrzehntelange Börsenerfahrung.
  • Die chinesischen Wachstumswerte sind auf dem aktuellen Niveau extrem günstig. Die Langfristperspektiven in China (siehe Fünfjahresplan) bleiben unverändert gut.
  • Regulierung und staatliche Eingriffe sind auch in der Vergangenheit immer ein Thema in China gewesen. Insofern stellt die aktuelle Situation kein Novum dar.
  • Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sollte man aus unserer Sicht eher vorsichtig sein bezüglich der Annahme, dass nun auch viele weitere Industrien stark negativ reguliert werden. Bei vielen Investoren hat das Vertrauen in China mit Sicherheit gelitten. Wir empfehlen hier, nicht zu verallgemeinern und sehen die aktuellen Kursniveaus als attraktive Chancen für Langfristinvestoren.

 

 

 

 

Hans Heimburger ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Gies und Heimburger GmbH und der CIO (Chief Investment Officer) für die 3ik-Strategiefonds.