Editorial der Freitags-Info vom 11.02.2022

Geposted von Andreas Rosner am

Die unglaubliche Reise eines LED-Fernsehers

Lieferkettenprobleme ist eines der Schlagworte in den zurückliegenden Monaten. Doch was sind die Gründe und woran hakt es, wenn ein bestelltes Produkt mit großer Verspätung beim Endkunden ankommt? Anhand eines in Deutschland im Sommer 2021 bestellten LED-Fernsehers werden die Komplikationen sichtbar.

08.06.2021 null Tage Verspätung: ?Der Vorlauf
Die für die Herstellung des Fernsehers benötigten Halbleiter werden in China in der Millionen- und Hafenstadt Guangzhou bestellt. Doch die Chip Produktion liegt seit Tagen still. Die Stadtverwaltung hat die Betriebe aufgefordert den Stromverbrauch zu drosseln. Der Grund sind außergewöhnlich hohe Temperaturen und der damit verbundene Energiebedarf der Klimaanlagen führt dazu, dass das Elektrizitätssystem an seine Grenzen kommt. In der Region ansässigen Industriebetriebe müssen für Stunden oder gar Tage, je nach Stromverbrauch, die Bänder stilllegen.
25.07.2021, acht Tage Verspätung?Die Produktion
Schon jetzt ist klar, der geplante Auslieferungstermin an den deutschen Endkunden platzt. Am 21.07.2021 hat ein Sturmtief Südchina getroffen und schwere Regenfälle und damit verbundene Überflutungen sind die Folge des Taifuns „Cempeka“. In Dongguan, wo das TV-Gerät zusammengeschraubt werden soll, kommt es wegen umgeknickter Bäume zu Stromausfällen. Straßen und Eisenbahnschienen stehen unter Wasser und mehr als 100.000 Einwohner müssen aus ihren Häusern gerettet werden. Der Produktionsbeginn für die Charge, zu der auch der bestellte Fernseher gehört, verzögert sich erneut.

05.09.2021, 15 Tage Verspätung?: Die Verschiffung
Der Flachbildfernseher geht auf eine 100 Kilometer Reise zum Hafen von Yantian. Hier liegt ein Containerschiff der französischen Reederei CMA CMG – die drittgrößte Container Reederei der Welt. Das TV-Gerät soll am 05.09. per Container auf die Reise nach Europa gehen. Doch der Plan scheitert. Der viertgrößte Hafen der Welt kämpft mit den Folgen des Shutdowns den die chinesische Regierung im Juni 2021 verhängt hatte, nachdem einige Hafenarbeiter positiv auf Corona getestet wurden. Die Folge, Container stapeln sich im Hafen, die Ausfahrt von Schiffen verzögert sich. Die Abreise des Fernsehers verspätet sich erneut um sechs Tage.

16.09.2021, 21 Tage Verspätung?: Das Umladen
Mittlerweile hat der Fernseher Singapur erreicht. Im Hafen wartet er auf den Weitertransport mit einem weiteren Schiff der Reederei CMA CMG. Doch der Umschlag verzögert sich. In Singapur, nach Shanghai der zweitgrößte Hafen der Welt sorgen die Verspätung vieler Containerschiffe für große Probleme. Die Fahrpläne sind komplett aus dem Takt. Die geplante Verladung kann an diesem Tag nicht mehr stattfinden. Es kommt zu einer Umbuchung auf anderes Container Schiff einem sog. Rollover. Mit einer Rollover-Quote von 45 Prozent verpasst in diesem Monat in Singapur fast jeder zweite Container das geplante Anschluss-Schiff. In Singapur kommen weiter sechs Tage Verspätung dazu.

12.10.2021, 27 Tage Verspätung?: Das Entladen
Der Container Frachter erreicht den Hafen Rotterdam. Auch hier stapeln sich die Container zu hohen Türmen. Mindesten vier Tage benötigt der Zoll, um die eingetroffenen Waren freizugeben. Bis zu Weitertransport des LED-Fernsehers vergehet weiter wertvolle Zeit, weil es an LKW-Fahrern fehlt, die die Waren ins Hinterland transportieren.

16.10.21, 31 Tage Verspätung?: Der Nachlauf
Der Fernseher wird in das wenige Kilometer von Hafen-Rotterdam gelegene Distributionszentrum einer großen französischen Spedition gebracht. Wegen eines Lockdowns im Verteilerzentrum wird der ursprünglich geplante Weitertransport per LKW in Richtung Frankfurt um weiter drei Tage verpasst.
21.10.2021, 34 Tage Verspätung?Die Distribution
In einem hessischen Warenverteilzentrum arbeiten die Mitarbeiter in separaten Gruppen, die sich möglichst nicht begegnen sollten. Die umfangreichen Hygiene Maßnahmen kosten Arbeitszeit und Effizienz. Die Kommissionierung, das Zusammenstellen von bestimmten Artikeln aus einer bereitgestellten Gesamtmenge (Sortiment), die auch den bestellten Fernseher umfasst, muss warten. Am Abend des 27.Oktober, fast eine Woche nach Lagereingang in Frankfurt, geht die Reise des Fernsehers per LWK auf seine vorletzte Etappe.

29.10.2021, 39 Tage Verspätung?: Der Einzelhandel
Endlich trifft das TV-Gerät im Berlin ein. Nun soll das Gerät schnellstmöglich versandfertig gemacht werden. Aber auch hier herrscht Mitarbeitermangel. Durch die Coronapandemie ist der Krankenstand hoch. Weitere zwei Tage Verspätung kommen hinzu.

05.11.2021, 41 Tage Verspätung?: Auslieferung
Am 05. November stoppt endlich der gelbe DHL-Lieferwagen vor der Tür des Kunden in Potsdam. 150 Tage sind seit der Bestellung des neuen LED-Fernsehers vergangen, bis das Gerät sein Ziel erreicht hat.

Bleiben Sie gesund, halten Sie bitte weiterhin Abstand und genießen Sie das Wochenende.
Andreas Rosner und das gesamte Team von Gies & Heimburger

Andreas Rosner ist Direktor Privatkunden der Gies und Heimburger GmbH.