Editorial der Freitags-Info vom 15.04.2022

Geposted von Hans Heimburger am

Die europäische Zentralbank scheint handlungsunfähig

Trotz der Rekordinflation im Euroraum zögert die EZB in Zeiten des Ukraine-Krieges eine Zinswende weiter hinaus und lässt die Zinsen bei 0 Prozent. Die gestrige Sitzung und die Entscheidungen des EZB-Rates lassen mich fassungslos zurück. Nachfolgend eine Passage aus dem Statement der EZB:

„…Stark steigende Energie- und Rohstoffpreise schmälern die Nachfrage und bremsen die Produktion. Wie sich die Wirtschaft entwickelt, wird entscheidend vom weiteren Verlauf des Konflikts, von den Auswirkungen der verhängten Sanktionen sowie von etwaigen weiteren Maßnahmen abhängen. Zugleich wird die wirtschaftliche Aktivität weiterhin durch das Wiederhochfahren der Wirtschaft nach der Krisenphase der Pandemie gestützt. Die Inflation ist deutlich gestiegen und wird auch in den kommenden Monaten hoch bleiben, vor allem aufgrund des starken Anstiegs der Energiekosten. Der Inflationsdruck hat sich über viele Sektoren hinweg intensiviert…“

Selbst die eigene Erkenntnis eines hohen Inflationsdrucks, der sich seit über einem Jahr Schritt für Schritt entwickelte und von der EZB so sträflich lange ignoriert wurde, bewegt die Ratsmitglieder nicht dazu, endlich ihrem Mandat gerecht zu werden. Nein es werden weiterhin Anleihen gekauft. Neu verfügbare Daten könnten darauf hinweisen, dass diese Anleihekäufe im dritten Quartal eingestellt werden können.

Welcher Daten bedarf es denn noch? Reicht eine Inflationsrate von über 7 Prozent im März nicht aus, um endlich eine angemessene Inflationsbekämpfung zu beginnen und die ultralockere Geldpolitik zu beenden? Liebe Leserinnen und Leser, ich brauche Ihnen nicht zu schildern, was die Geldentwertung für unser aller tägliches Leben bedeutet. Sie machen die Erfahrung im Supermarkt, an der Tankstelle, bei der Bezahlung der Stromrechnung usw. Und es ist viel zu billig und im Übrigen sachlich nicht richtig, diese Entwicklung nur auf den Ukrainekrieg zu schieben. 

Die großen Notenbanken haben im vergangenen Jahr die Inflationszeichen schlicht nicht oder viel zu spät erkannt und weiter munter Öl (lockere Geldpolitik / viel zu tiefe Zinsen) ins Feuer gegossen. Eine Reihe von Notenbanken, mit der amerikanischen Fed an der Spitze, gesteht diesen Fehler nun ein und nehmen eine notwendige Korrektur ihrer Geldpolitik vor.

Ich kann Ihnen nicht erklären, warum die EZB diesem Beispiel nicht folgt. Die fortgesetzten Anleihekäufe wirken seit geraumer Zeit nicht mehr. Die Renditen der Staatsanleihen im Euroraum steigen geradezu unkontrolliert an. Der Markt scheint das Vertrauen in die Politik der EZB verloren zu haben und preist seine eigene Sicht ein. 

Frau Lagarde erwartet weiterhin keine Zweitrundeneffekte der Inflation über steigende Löhne. Glaubt sie denn ernsthaft, dass die Gewerkschaften ihre Mitglieder im Inflationsregen stehen lassen? Die anstehenden Tarifabschlüsse, dies ist dem Forderungskatalog einzelner Gewerkschaften zu entnehmen, werden den gewaltigen Preissteigerungen Rechnung tragen (müssen). Übrigens fordern die Mitarbeiter im eigenen Haus der EZB bereits seit Herbst 2021 eine Anpassung der Gehälter an die gestiegene Inflation. 

Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben ein frohes und erholsames Osterfest. 

Hans Heimburger und das gesamte Team von Gies & Heimburger

Hans Heimburger ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Gies und Heimburger GmbH und der CIO (Chief Investment Officer) für die 3ik-Strategiefonds.