Mario Draghi wird in dieser Woche der Titel „Mann der Woche“ nicht zu nehmen sein. Einige Berichterstatter sehen die gestrigen Beschlüsse der europäischen Währungshüter gar als historisch an und meinen damit den endgültigen Abschied von einer unabhängigen Notenbank-Politik, die einst am Vorbild der Deutschen Bundesbank ausgerichtet wurde.
Die technischen Merkmale der geldpolitischen Outright-Geschäfte (Outright Monetary Transactions – OMTs)
Mit den Käufen von Staatsanleihen ohne betragliche Obergrenze am Markt mit Restlaufzeiten von ein bis drei Jahren soll die Wirkung der EZB-Geldpolitik gesichert werden. Seit geraumer Zeit fordert der Markt bei Anleihen von Staaten der Euro-Zone mit offensichtlich unsolider Haushaltsführung (Griechenland, Irland, Italien, Spanien….) nicht die niedrigen Zinssätze der Europäischen Zentralbank, sondern deutlich höhere (Risiko-) Zinsen. Somit laufen die Zinssenkungen der Notenbank für diese Länder ins Leere. Dies will die EZB mit ihren OMT-Geschäften jetzt ändern.
Allerdings ist die Intervention der EZB an Auflagen gebunden. Wenn ein Staat in den Genuss der Unterstützung aus dem Euro-Tower in Frankfurt kommen möchte, muss er vorher zwingend den europäischen Stabilisierungsfonds ESM/EFSF um Hilfe bitten und sich dessen Bedingungen für ein ökonomisches Sanierungsprogramm unterwerfen. Dies bedeutet einen erheblichen Verlust an nationaler Souveränität, zumal auch der IWF (Internationale Währungsfonds9 in den Prozess eingeschaltet werden soll und somit harte Auflagen und eine stringente Kontrolle zu erwarten sind. Wichtig ist auch der Faktor, dass die EZB das zusätzliche Geld, das durch die Anleihenkäufe geschaffen wird; dem Bankensystem sofort wieder entzieht und somit keine Geldmengenausweitung entsteht.
Die Aktienmärkte feiern die EZB-Entscheidung mit einem kräftigen Kursanstieg
Eine Reihe kritischer Stimmen, darunter auch jene von Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der im EZB-Rat nicht zugestimmt hat, fanden angesichts steigender Aktienkurse in Europa und den USA kaum Gehör. Die überwiegende Zahl der Kommentatoren aus Politik und Wirtschaft sieht in den Beschlüssen der Europäischen Zentralbank einen gewichtigen Schritt in die (vermeintlich) richtige Richtung. Allerdings wird oft übersehen, dass die EZB der Politik zum wiederholten Mal nur etwas Zeit erkauft in der Erwartung, dass die Politiker nun endlich die Hausaufgaben in Richtung einer wirklich vernünftigen Fiskalunion zu erledigen. Diese Bringschuld der Politik kann nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden. Jetzt gilt es zu handeln, denn sonst ist der Glaubwürdigkeitsverlust zu groß.
Fazit: Mario Draghi hat gestern nach seinen überraschenden Ankündigungen, die er Ende Juli in London gemacht hat, alles Notwendige für den Erhalt des Euro zu tun, „geliefert“. Den Märkten hat es offensichtlich gefallen. Allerdings sind die Auflagen, die ein Land erfüllen muss, damit die EZB Anleihen am Markt kauft, klar formuliert und keine kleine Hürde. Der Vorwurf, hier wird Staatsfinanzierung mit Hilfe der Notenpresse betrieben, kann somit ein Stück entkräftet werden. Allerdings ist der Grat, auf dem die EZB damit wandelt, extrem schmal.